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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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Bart, für ein Zeichen der Männlichkeit. Der Zopf meines Vaters war so stark, daß er meist für falsch gehalten ward. In Livland begegnete es ihm mehr als einmal, daß man seiner Versicherung über die Aechtheit nicht eher Glauben schenkte, als bis er das Zopfband löste, und eine gewaltige Fülle blonden Hares herabwallen ließ.

Die französische Revolution hatte die Zöpfe abgeschafft, vorzüglich deshalb, weil sie beim Guillotiniren hinderlich waren. Da nun in jener Zeit fast jeder Franzose in dieser Gefahr schwebte, so schnitt man die Zöpfe lieber vorher ab.

In Deutschland hielten sich die Zöpfe länger. Daß noch i. J. 1800 Jean Paul den Helden seines Titan mit einem falschen Zopfe ausstattet, kömmt uns jetzt komisch vor, war es aber damals gewiß nicht. Während des französischen Krieges (1806-1807) wurden die meisten Civil-Zöpfe in Berlin abgeschnitten, vielleicht mit aus ökonomischen Gründen, um eine Ersparniß an Puder, Pomade, Zopfband, Haarbeutel und Zeit eintreten zu lassen.

Dem Frisirtwerden meines Vaters habe ich oft, auf dem Fußbänkchen am Fenster sitzend, mit Aufmerksamkeit zugesehn; es dauerte sehr lange. Zuerst trat der Bediente Wilhelm, das Frisirzeug unter dem Arme, ins Zimmer, breitete eine weiße leinene Decke von wenigstens 6 Fuß im Quadrat auf dem Teppich aus, setzte einen Stuhl darauf und sagte: Herr Hofrath, wenns gefällig wäre. Mein Vater stand vom Schreibtische auf, fuhr in den aufgehaltenen weißen Pudermantel, nahm die Zeitung zur Hand und setzte sich. Der Zopf des vorigen Tages wurde gelöst, und das volle Haar vielfach durchgekämmt. Dann nahm Wilhelm aus einer weißen Porzellanbüchse eine ansehnliche Menge wohlriechender Pomade, und salbte den

Bart, für ein Zeichen der Männlichkeit. Der Zopf meines Vaters war so stark, daß er meist für falsch gehalten ward. In Livland begegnete es ihm mehr als einmal, daß man seiner Versicherung über die Aechtheit nicht eher Glauben schenkte, als bis er das Zopfband löste, und eine gewaltige Fülle blonden Hares herabwallen ließ.

Die französische Revolution hatte die Zöpfe abgeschafft, vorzüglich deshalb, weil sie beim Guillotiniren hinderlich waren. Da nun in jener Zeit fast jeder Franzose in dieser Gefahr schwebte, so schnitt man die Zöpfe lieber vorher ab.

In Deutschland hielten sich die Zöpfe länger. Daß noch i. J. 1800 Jean Paul den Helden seines Titan mit einem falschen Zopfe ausstattet, kömmt uns jetzt komisch vor, war es aber damals gewiß nicht. Während des französischen Krieges (1806–1807) wurden die meisten Civil-Zöpfe in Berlin abgeschnitten, vielleicht mit aus ökonomischen Gründen, um eine Ersparniß an Puder, Pomade, Zopfband, Haarbeutel und Zeit eintreten zu lassen.

Dem Frisirtwerden meines Vaters habe ich oft, auf dem Fußbänkchen am Fenster sitzend, mit Aufmerksamkeit zugesehn; es dauerte sehr lange. Zuerst trat der Bediente Wilhelm, das Frisirzeug unter dem Arme, ins Zimmer, breitete eine weiße leinene Decke von wenigstens 6 Fuß im Quadrat auf dem Teppich aus, setzte einen Stuhl darauf und sagte: Herr Hofrath, wenns gefällig wäre. Mein Vater stand vom Schreibtische auf, fuhr in den aufgehaltenen weißen Pudermantel, nahm die Zeitung zur Hand und setzte sich. Der Zopf des vorigen Tages wurde gelöst, und das volle Haar vielfach durchgekämmt. Dann nahm Wilhelm aus einer weißen Porzellanbüchse eine ansehnliche Menge wohlriechender Pomade, und salbte den

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[29/0041] Bart, für ein Zeichen der Männlichkeit. Der Zopf meines Vaters war so stark, daß er meist für falsch gehalten ward. In Livland begegnete es ihm mehr als einmal, daß man seiner Versicherung über die Aechtheit nicht eher Glauben schenkte, als bis er das Zopfband löste, und eine gewaltige Fülle blonden Hares herabwallen ließ. Die französische Revolution hatte die Zöpfe abgeschafft, vorzüglich deshalb, weil sie beim Guillotiniren hinderlich waren. Da nun in jener Zeit fast jeder Franzose in dieser Gefahr schwebte, so schnitt man die Zöpfe lieber vorher ab. In Deutschland hielten sich die Zöpfe länger. Daß noch i. J. 1800 Jean Paul den Helden seines Titan mit einem falschen Zopfe ausstattet, kömmt uns jetzt komisch vor, war es aber damals gewiß nicht. Während des französischen Krieges (1806–1807) wurden die meisten Civil-Zöpfe in Berlin abgeschnitten, vielleicht mit aus ökonomischen Gründen, um eine Ersparniß an Puder, Pomade, Zopfband, Haarbeutel und Zeit eintreten zu lassen. Dem Frisirtwerden meines Vaters habe ich oft, auf dem Fußbänkchen am Fenster sitzend, mit Aufmerksamkeit zugesehn; es dauerte sehr lange. Zuerst trat der Bediente Wilhelm, das Frisirzeug unter dem Arme, ins Zimmer, breitete eine weiße leinene Decke von wenigstens 6 Fuß im Quadrat auf dem Teppich aus, setzte einen Stuhl darauf und sagte: Herr Hofrath, wenns gefällig wäre. Mein Vater stand vom Schreibtische auf, fuhr in den aufgehaltenen weißen Pudermantel, nahm die Zeitung zur Hand und setzte sich. Der Zopf des vorigen Tages wurde gelöst, und das volle Haar vielfach durchgekämmt. Dann nahm Wilhelm aus einer weißen Porzellanbüchse eine ansehnliche Menge wohlriechender Pomade, und salbte den

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/41>, abgerufen am 28.03.2024.