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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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Abendessen das Pfeifchen meines Vaters ertönte, kamen wir wieder zum Vorschein.

Den angenehmen Besuchern gingen wir gern ein Stück Weges entgegen, und führten sie gleich zu den besten Kirschbäumen und den reichsten Erdbeerbeeten. Beim Umherstreifen durch den Garten und beim fröhlichen Abendessen gaben die Erlebnisse der heimgekehrten Krieger einen unerschöpflichen Stoff der Unterhaltung. Fritz war unermüdlich im fragen, und fiel bisweilen beschwerlich, aber wir erfuhren dadurch doch manches interessante. Bald wurde ich inne, daß die Erzählungen der einzelnen Soldaten nur einen unendlich kleinen Bruchtheil von dem Gange des Feldzugs darstellten, und daß eine Uebersicht nur durch die Vergleichung verschiedener Berichte zu gewinnen sei. Selbst von den Schlachten, denen die Freunde beigewohnt, konnten sie selten ein richtiges Bild entwerfen, weil sie entweder im dichtesten Handgemenge steckten, oder als Deckung einer Batterie ausharrten, oder erst in der Reserve heranrückten, u. s. w.

Mein liebster Freund August, der bei den Lützowern gestanden, und jetzt wieder neben mir in der Secunda des Grauen Klosters saß, mußte mir über alles und jedes, was er erlebt, Auskunft geben. Seine körperliche Kraft und Gewandtheit kamen ihm in vielen Fällen zu Statten, doch läugnete er nicht, daß an den ersten 8 Tagen des Marsches die schwere Büchse ihm viel Unbequemlichkeit verursacht, bis er sich gewöhnte, gar nicht mehr daran zu denken, wenn sie ihn auf der Schulter drückte. Wegen seiner Kurzsichtigkeit trug er eine Brille, damals etwas ungewöhnliches für einen gemeinen Soldaten. Bei der ersten, an einem Ruhetage angestellten Schießübung wurde

Abendessen das Pfeifchen meines Vaters ertönte, kamen wir wieder zum Vorschein.

Den angenehmen Besuchern gingen wir gern ein Stück Weges entgegen, und führten sie gleich zu den besten Kirschbäumen und den reichsten Erdbeerbeeten. Beim Umherstreifen durch den Garten und beim fröhlichen Abendessen gaben die Erlebnisse der heimgekehrten Krieger einen unerschöpflichen Stoff der Unterhaltung. Fritz war unermüdlich im fragen, und fiel bisweilen beschwerlich, aber wir erfuhren dadurch doch manches interessante. Bald wurde ich inne, daß die Erzählungen der einzelnen Soldaten nur einen unendlich kleinen Bruchtheil von dem Gange des Feldzugs darstellten, und daß eine Uebersicht nur durch die Vergleichung verschiedener Berichte zu gewinnen sei. Selbst von den Schlachten, denen die Freunde beigewohnt, konnten sie selten ein richtiges Bild entwerfen, weil sie entweder im dichtesten Handgemenge steckten, oder als Deckung einer Batterie ausharrten, oder erst in der Reserve heranrückten, u. s. w.

Mein liebster Freund August, der bei den Lützowern gestanden, und jetzt wieder neben mir in der Secunda des Grauen Klosters saß, mußte mir über alles und jedes, was er erlebt, Auskunft geben. Seine körperliche Kraft und Gewandtheit kamen ihm in vielen Fällen zu Statten, doch läugnete er nicht, daß an den ersten 8 Tagen des Marsches die schwere Büchse ihm viel Unbequemlichkeit verursacht, bis er sich gewöhnte, gar nicht mehr daran zu denken, wenn sie ihn auf der Schulter drückte. Wegen seiner Kurzsichtigkeit trug er eine Brille, damals etwas ungewöhnliches für einen gemeinen Soldaten. Bei der ersten, an einem Ruhetage angestellten Schießübung wurde

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[432/0444] Abendessen das Pfeifchen meines Vaters ertönte, kamen wir wieder zum Vorschein. Den angenehmen Besuchern gingen wir gern ein Stück Weges entgegen, und führten sie gleich zu den besten Kirschbäumen und den reichsten Erdbeerbeeten. Beim Umherstreifen durch den Garten und beim fröhlichen Abendessen gaben die Erlebnisse der heimgekehrten Krieger einen unerschöpflichen Stoff der Unterhaltung. Fritz war unermüdlich im fragen, und fiel bisweilen beschwerlich, aber wir erfuhren dadurch doch manches interessante. Bald wurde ich inne, daß die Erzählungen der einzelnen Soldaten nur einen unendlich kleinen Bruchtheil von dem Gange des Feldzugs darstellten, und daß eine Uebersicht nur durch die Vergleichung verschiedener Berichte zu gewinnen sei. Selbst von den Schlachten, denen die Freunde beigewohnt, konnten sie selten ein richtiges Bild entwerfen, weil sie entweder im dichtesten Handgemenge steckten, oder als Deckung einer Batterie ausharrten, oder erst in der Reserve heranrückten, u. s. w. Mein liebster Freund August, der bei den Lützowern gestanden, und jetzt wieder neben mir in der Secunda des Grauen Klosters saß, mußte mir über alles und jedes, was er erlebt, Auskunft geben. Seine körperliche Kraft und Gewandtheit kamen ihm in vielen Fällen zu Statten, doch läugnete er nicht, daß an den ersten 8 Tagen des Marsches die schwere Büchse ihm viel Unbequemlichkeit verursacht, bis er sich gewöhnte, gar nicht mehr daran zu denken, wenn sie ihn auf der Schulter drückte. Wegen seiner Kurzsichtigkeit trug er eine Brille, damals etwas ungewöhnliches für einen gemeinen Soldaten. Bei der ersten, an einem Ruhetage angestellten Schießübung wurde

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/444>, abgerufen am 25.04.2024.