Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

bedeckt. Den Werth der Originalsilhouetten von Lessing und Schiller, der Handzeichnungen von Frisch, Chodowiecki, Graff etc. wußten wir Kinder freilich damals nicht zu schätzen, wir kritisirten die Köpfe nur nach dem mehr oder minder gefälligen Aussehn. So besinne ich mich, daß Frau von Stael uns verhaßt war, weil sie in der Ferne für einen Mann gelten konnte.

Ueber den Bücherschränken hingen größere Kupferstiche, über dem Sopha das schon erwähnte lebensgroße Kniestück von Frau von der Recke und andre Bildnisse.

Der Eintritt in die Studirstube erregte uns Kindern immer ein Gefühl der Befangenheit, aber unbeschreiblich war unser Erstaunen, als wir eines Tages sahen, wie der Grosvater die Thür eines Bücherschrankes öffnete, hineintrat und nicht wieder zum Vorschein kam. Wie sollte für den großen starken Mann in dem schmalen Schranke sich Raum finden? Nach kurzer Zeit trat er wieder ein. Wir wagten nun auch, den Schrank zu öffnen, und fanden, daß diese Vexirthür in ein daneben liegendes Kabinet führte, dessen Wände bis an die Decke hinauf mit Büchern tapezirt waren. Diesen Ausgang hatte der Grosvater angelegt, um sich den Umweg durch den Bibliotheksaal nach seinem Schlafzimmer zu sparen.

Als mein Vater später das Zimmer bewohnte, wurde die Thür nach dem Bibliotheksaale verschlossen, um den bequemeren Eingang durch das Kabinet zu haben; da sahen wir denn oft, nicht ohne innerliches Ergötzen, wie manch ein Fremder, der durch die Vexirthür eingetreten war, beim Abschiede sich umwendend, verwundert vor dem Bücherschranke stehn blieb, und den Ausgang nicht finden konnte.

bedeckt. Den Werth der Originalsilhouetten von Lessing und Schiller, der Handzeichnungen von Frisch, Chodowiecki, Graff etc. wußten wir Kinder freilich damals nicht zu schätzen, wir kritisirten die Köpfe nur nach dem mehr oder minder gefälligen Aussehn. So besinne ich mich, daß Frau von Stael uns verhaßt war, weil sie in der Ferne für einen Mann gelten konnte.

Ueber den Bücherschränken hingen größere Kupferstiche, über dem Sopha das schon erwähnte lebensgroße Kniestück von Frau von der Recke und andre Bildnisse.

Der Eintritt in die Studirstube erregte uns Kindern immer ein Gefühl der Befangenheit, aber unbeschreiblich war unser Erstaunen, als wir eines Tages sahen, wie der Grosvater die Thür eines Bücherschrankes öffnete, hineintrat und nicht wieder zum Vorschein kam. Wie sollte für den großen starken Mann in dem schmalen Schranke sich Raum finden? Nach kurzer Zeit trat er wieder ein. Wir wagten nun auch, den Schrank zu öffnen, und fanden, daß diese Vexirthür in ein daneben liegendes Kabinet führte, dessen Wände bis an die Decke hinauf mit Büchern tapezirt waren. Diesen Ausgang hatte der Grosvater angelegt, um sich den Umweg durch den Bibliotheksaal nach seinem Schlafzimmer zu sparen.

Als mein Vater später das Zimmer bewohnte, wurde die Thür nach dem Bibliotheksaale verschlossen, um den bequemeren Eingang durch das Kabinet zu haben; da sahen wir denn oft, nicht ohne innerliches Ergötzen, wie manch ein Fremder, der durch die Vexirthür eingetreten war, beim Abschiede sich umwendend, verwundert vor dem Bücherschranke stehn blieb, und den Ausgang nicht finden konnte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0077" n="65"/>
bedeckt. Den Werth der Originalsilhouetten von Lessing und Schiller, der Handzeichnungen von Frisch, Chodowiecki, Graff etc. wußten wir Kinder freilich damals nicht zu schätzen, wir kritisirten die Köpfe nur nach dem mehr oder minder gefälligen Aussehn. So besinne ich mich, daß Frau von Stael uns verhaßt war, weil sie in der Ferne für einen Mann gelten konnte. </p><lb/>
          <p>Ueber den Bücherschränken hingen größere Kupferstiche, über dem Sopha das schon erwähnte lebensgroße Kniestück von Frau von der Recke und andre Bildnisse. </p><lb/>
          <p>Der Eintritt in die Studirstube erregte uns Kindern immer ein Gefühl der Befangenheit, aber unbeschreiblich war unser Erstaunen, als wir eines Tages sahen, wie der Grosvater die Thür eines Bücherschrankes öffnete, hineintrat und nicht wieder zum Vorschein kam. Wie sollte für den großen starken Mann in dem schmalen Schranke sich Raum finden? Nach kurzer Zeit trat er wieder ein. Wir wagten nun auch, den Schrank zu öffnen, und fanden, daß diese Vexirthür in ein daneben liegendes Kabinet führte, dessen Wände bis an die Decke hinauf mit Büchern tapezirt waren. Diesen Ausgang hatte der Grosvater angelegt, um sich den Umweg durch den Bibliotheksaal nach seinem Schlafzimmer zu sparen. </p><lb/>
          <p>Als mein Vater später das Zimmer bewohnte, wurde die Thür nach dem Bibliotheksaale verschlossen, um den bequemeren Eingang durch das Kabinet zu haben; da sahen wir denn oft, nicht ohne innerliches Ergötzen, wie manch ein Fremder, der durch die Vexirthür eingetreten war, beim Abschiede sich umwendend, verwundert vor dem Bücherschranke stehn blieb, und den Ausgang nicht finden konnte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0077] bedeckt. Den Werth der Originalsilhouetten von Lessing und Schiller, der Handzeichnungen von Frisch, Chodowiecki, Graff etc. wußten wir Kinder freilich damals nicht zu schätzen, wir kritisirten die Köpfe nur nach dem mehr oder minder gefälligen Aussehn. So besinne ich mich, daß Frau von Stael uns verhaßt war, weil sie in der Ferne für einen Mann gelten konnte. Ueber den Bücherschränken hingen größere Kupferstiche, über dem Sopha das schon erwähnte lebensgroße Kniestück von Frau von der Recke und andre Bildnisse. Der Eintritt in die Studirstube erregte uns Kindern immer ein Gefühl der Befangenheit, aber unbeschreiblich war unser Erstaunen, als wir eines Tages sahen, wie der Grosvater die Thür eines Bücherschrankes öffnete, hineintrat und nicht wieder zum Vorschein kam. Wie sollte für den großen starken Mann in dem schmalen Schranke sich Raum finden? Nach kurzer Zeit trat er wieder ein. Wir wagten nun auch, den Schrank zu öffnen, und fanden, daß diese Vexirthür in ein daneben liegendes Kabinet führte, dessen Wände bis an die Decke hinauf mit Büchern tapezirt waren. Diesen Ausgang hatte der Grosvater angelegt, um sich den Umweg durch den Bibliotheksaal nach seinem Schlafzimmer zu sparen. Als mein Vater später das Zimmer bewohnte, wurde die Thür nach dem Bibliotheksaale verschlossen, um den bequemeren Eingang durch das Kabinet zu haben; da sahen wir denn oft, nicht ohne innerliches Ergötzen, wie manch ein Fremder, der durch die Vexirthür eingetreten war, beim Abschiede sich umwendend, verwundert vor dem Bücherschranke stehn blieb, und den Ausgang nicht finden konnte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/77
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/77>, abgerufen am 28.03.2024.