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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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lich ganz unmöglich, daß das moderne Gebäude mit dem steilen Ziegeldach, das wir auf dem Berge vor uns liegen sahen, eine alte Ritterburg heißen könne, vielmehr glaubten wir, ein rechts davon auf einer andern Bergspitze liegendes rundes Gemäuer weit eher dafür ansprechen zu dürfen. Dahin kletterten wir anfangs auf schmalen Fußsteigen, zuletzt ohne allen Weg durch den immer dichteren Wald. Plötzlich stand Paul still, und sagte: da steht ein Löwe! - Oho, ein Löwe in Thüringen? - Und wirklich stand er in leibhaftiger Größe vor uns, aus Holz geschnitzt und natürlich bemalt. Späterhin erschienen ein Hirsch, ein Bär und anderes Gethier in mehr oder minder verwitterter Gestalt und mit abgeblichenen Farben. Vermuthlich hatte ein jagdliebender Landgraf seinen Forst auf diese Weise bevölkert.

Das endlich mit Mühe erreichte runde Gemäuer zeigte sich als eine kleine künstliche Ruine; wir erkannten bald, daß Luther hier nicht könne gewohnt haben, daß hier kein Zimmer vorhanden sei, in dem er dem Teufel sein Tintenfaß an den Kopf geworfen, oder der Czar Peter seinen Namen mit Kreide über der Thür anschreiben konnte. Die ächte Wartburg, das anfänglich verachtete Ziegeldach, sahen wir auf einer nahe liegenden Bergspitze, und glaubten den Weg dahin mitten durch den Wald leicht finden zu können. Doch kaum tauchten wir in das Gebüsch hinab, so verschwand die Aussicht, wir geriethen zu weit rechts, und ein verführerischer Holzweg brachte uns bergab in ein höchst romantisches aber ganz einsames Wiesenthal. Nun war guter Rath theuer: denn wir hatten die Richtung so gänzlich verloren, daß wir nicht wußten, ob die Wartburg vor oder hinter uns liege.

lich ganz unmöglich, daß das moderne Gebäude mit dem steilen Ziegeldach, das wir auf dem Berge vor uns liegen sahen, eine alte Ritterburg heißen könne, vielmehr glaubten wir, ein rechts davon auf einer andern Bergspitze liegendes rundes Gemäuer weit eher dafür ansprechen zu dürfen. Dahin kletterten wir anfangs auf schmalen Fußsteigen, zuletzt ohne allen Weg durch den immer dichteren Wald. Plötzlich stand Paul still, und sagte: da steht ein Löwe! – Oho, ein Löwe in Thüringen? – Und wirklich stand er in leibhaftiger Größe vor uns, aus Holz geschnitzt und natürlich bemalt. Späterhin erschienen ein Hirsch, ein Bär und anderes Gethier in mehr oder minder verwitterter Gestalt und mit abgeblichenen Farben. Vermuthlich hatte ein jagdliebender Landgraf seinen Forst auf diese Weise bevölkert.

Das endlich mit Mühe erreichte runde Gemäuer zeigte sich als eine kleine künstliche Ruine; wir erkannten bald, daß Luther hier nicht könne gewohnt haben, daß hier kein Zimmer vorhanden sei, in dem er dem Teufel sein Tintenfaß an den Kopf geworfen, oder der Czar Peter seinen Namen mit Kreide über der Thür anschreiben konnte. Die ächte Wartburg, das anfänglich verachtete Ziegeldach, sahen wir auf einer nahe liegenden Bergspitze, und glaubten den Weg dahin mitten durch den Wald leicht finden zu können. Doch kaum tauchten wir in das Gebüsch hinab, so verschwand die Aussicht, wir geriethen zu weit rechts, und ein verführerischer Holzweg brachte uns bergab in ein höchst romantisches aber ganz einsames Wiesenthal. Nun war guter Rath theuer: denn wir hatten die Richtung so gänzlich verloren, daß wir nicht wußten, ob die Wartburg vor oder hinter uns liege.

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lich ganz unmöglich, daß das moderne Gebäude mit dem steilen Ziegeldach, das wir auf dem Berge vor uns liegen sahen, eine alte Ritterburg heißen könne, vielmehr glaubten wir, ein rechts davon auf einer andern Bergspitze liegendes rundes Gemäuer weit eher dafür ansprechen zu dürfen. Dahin kletterten wir anfangs auf schmalen Fußsteigen, zuletzt ohne allen Weg durch den immer dichteren Wald. Plötzlich stand Paul still, und sagte: da steht ein Löwe! &#x2013; Oho, ein Löwe in Thüringen? &#x2013; Und wirklich stand er in leibhaftiger Größe vor uns, aus Holz geschnitzt und natürlich bemalt. Späterhin erschienen ein Hirsch, ein Bär und anderes Gethier in mehr oder minder verwitterter Gestalt und mit abgeblichenen Farben. Vermuthlich hatte ein jagdliebender Landgraf seinen Forst auf diese Weise bevölkert. </p><lb/>
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[306/0314] lich ganz unmöglich, daß das moderne Gebäude mit dem steilen Ziegeldach, das wir auf dem Berge vor uns liegen sahen, eine alte Ritterburg heißen könne, vielmehr glaubten wir, ein rechts davon auf einer andern Bergspitze liegendes rundes Gemäuer weit eher dafür ansprechen zu dürfen. Dahin kletterten wir anfangs auf schmalen Fußsteigen, zuletzt ohne allen Weg durch den immer dichteren Wald. Plötzlich stand Paul still, und sagte: da steht ein Löwe! – Oho, ein Löwe in Thüringen? – Und wirklich stand er in leibhaftiger Größe vor uns, aus Holz geschnitzt und natürlich bemalt. Späterhin erschienen ein Hirsch, ein Bär und anderes Gethier in mehr oder minder verwitterter Gestalt und mit abgeblichenen Farben. Vermuthlich hatte ein jagdliebender Landgraf seinen Forst auf diese Weise bevölkert. Das endlich mit Mühe erreichte runde Gemäuer zeigte sich als eine kleine künstliche Ruine; wir erkannten bald, daß Luther hier nicht könne gewohnt haben, daß hier kein Zimmer vorhanden sei, in dem er dem Teufel sein Tintenfaß an den Kopf geworfen, oder der Czar Peter seinen Namen mit Kreide über der Thür anschreiben konnte. Die ächte Wartburg, das anfänglich verachtete Ziegeldach, sahen wir auf einer nahe liegenden Bergspitze, und glaubten den Weg dahin mitten durch den Wald leicht finden zu können. Doch kaum tauchten wir in das Gebüsch hinab, so verschwand die Aussicht, wir geriethen zu weit rechts, und ein verführerischer Holzweg brachte uns bergab in ein höchst romantisches aber ganz einsames Wiesenthal. Nun war guter Rath theuer: denn wir hatten die Richtung so gänzlich verloren, daß wir nicht wußten, ob die Wartburg vor oder hinter uns liege.

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/314>, abgerufen am 16.04.2024.