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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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weinst du? Hast du was verloren, ist wer ge¬
storben? Ach ich habe nichts verloren, mir ist
nichts gestorben; denn ich habe noch nicht je
geliebt, o lass' mich weiter weinen!"

Zulezt sang er nur einzelne Füsse noch, oh¬
ne besondern Zusammenhang -- er kam eiliger
durch Beete -- durch grüne Thäler -- über klare
Bäche -- durch Mittagsstille Dörfer -- vor
ruhendem Arbeitszeug vorbei -- auf dem Zau¬
berkreis der Höhen stand Zauberrauch -- der
Sturmwind war entflohen, und am klaren Him¬
mel blieb das grosse unendliche Blaue zurück --
Vergangenheit und Zukunft brannten hell und
nahe, entzündet vor Gegenwart -- der Blu¬
menkelch des Lebens umschloß ihn bunt-däm¬
mernd, und wiegte ihn leise -- und Pans Stun¬
de gieng an -- --

"Jezt ergrif mich -- schreibt er in seinem
Tagebuche -- Pans Stunde, wie allemal auf
meinen Reisen. Ich möchte wohl wissen, wo¬
her sie diese Gewalt bekommt. Nach meiner
Meinung dauert sie von 11 und 12 bis 1 Uhr;
daher glauben die Griechen an die Pans-, das

Flegeljahre III. Bd. 7

weinſt du? Haſt du was verloren, iſt wer ge¬
ſtorben? Ach ich habe nichts verloren, mir iſt
nichts geſtorben; denn ich habe noch nicht je
geliebt, o laſſ' mich weiter weinen!“

Zulezt ſang er nur einzelne Fuͤſſe noch, oh¬
ne beſondern Zuſammenhang — er kam eiliger
durch Beete — durch gruͤne Thaͤler — uͤber klare
Baͤche — durch Mittagsſtille Doͤrfer — vor
ruhendem Arbeitszeug vorbei — auf dem Zau¬
berkreis der Hoͤhen ſtand Zauberrauch — der
Sturmwind war entflohen, und am klaren Him¬
mel blieb das groſſe unendliche Blaue zuruͤck —
Vergangenheit und Zukunft brannten hell und
nahe, entzuͤndet vor Gegenwart — der Blu¬
menkelch des Lebens umſchloß ihn bunt-daͤm¬
mernd, und wiegte ihn leiſe — und Pans Stun¬
de gieng an — —

„Jezt ergrif mich — ſchreibt er in ſeinem
Tagebuche — Pans Stunde, wie allemal auf
meinen Reiſen. Ich moͤchte wohl wiſſen, wo¬
her ſie dieſe Gewalt bekommt. Nach meiner
Meinung dauert ſie von 11 und 12 bis 1 Uhr;
daher glauben die Griechen an die Pans-, das

Flegeljahre III. Bd. 7
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[97/0105] weinſt du? Haſt du was verloren, iſt wer ge¬ ſtorben? Ach ich habe nichts verloren, mir iſt nichts geſtorben; denn ich habe noch nicht je geliebt, o laſſ' mich weiter weinen!“ Zulezt ſang er nur einzelne Fuͤſſe noch, oh¬ ne beſondern Zuſammenhang — er kam eiliger durch Beete — durch gruͤne Thaͤler — uͤber klare Baͤche — durch Mittagsſtille Doͤrfer — vor ruhendem Arbeitszeug vorbei — auf dem Zau¬ berkreis der Hoͤhen ſtand Zauberrauch — der Sturmwind war entflohen, und am klaren Him¬ mel blieb das groſſe unendliche Blaue zuruͤck — Vergangenheit und Zukunft brannten hell und nahe, entzuͤndet vor Gegenwart — der Blu¬ menkelch des Lebens umſchloß ihn bunt-daͤm¬ mernd, und wiegte ihn leiſe — und Pans Stun¬ de gieng an — — „Jezt ergrif mich — ſchreibt er in ſeinem Tagebuche — Pans Stunde, wie allemal auf meinen Reiſen. Ich moͤchte wohl wiſſen, wo¬ her ſie dieſe Gewalt bekommt. Nach meiner Meinung dauert ſie von 11 und 12 bis 1 Uhr; daher glauben die Griechen an die Pans-, das Flegeljahre III. Bd. 7

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/105>, abgerufen am 29.03.2024.