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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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Als noch viele Sterne in die Dämmerung
schienen, rief der General den Notarius mit der
frohesten Stimme aus dem Bette zur Berg-Par¬
tie; und dann nahm er ihn so liebreich auf -- bis
an die Stirnhaare lächelte er empor --, daß Walt
sehr beruhigt war und beseeligt; der General,
dacht' er, würde ganz anders mit mir reden, wenn
er etwas wüste. Winas Angesicht blühte voll
zarter MorgenRosen; im Paradies am Schö¬
pfungs-Morgen blühten keine vollern.

Sie giengen zu Fuße dem zerspaltenen Ge¬
bürge zu. Die Stadt war tief still, nur in den
Gärten rüstete schon einer und der andere Beete
und Rosenhecken für den Frühling zu und die
Rauchsäulen des Morgenbrods bogen sich über
die Dächer. Draussen flatterte schon Leben auf,
die Singdrossel wurde in den nahen Tannen wach,
unten an der Fähre klang das Posthorn herüber,
und aus dem Gebürge donnerte der ewige Wasserfall
heraus. Die drei Menschen sprachen, wie man
am Morgen pflegt, gleich der grauen Natur um
sie her, nur einzelne Laute. Sie sahen gen Osten,
woran das Gewölke zu einem rothen Vorgebürge

Als noch viele Sterne in die Daͤmmerung
ſchienen, rief der General den Notarius mit der
froheſten Stimme aus dem Bette zur Berg-Par¬
tie; und dann nahm er ihn ſo liebreich auf — bis
an die Stirnhaare laͤchelte er empor —, daß Walt
ſehr beruhigt war und beſeeligt; der General,
dacht' er, wuͤrde ganz anders mit mir reden, wenn
er etwas wuͤſte. Winas Angeſicht bluͤhte voll
zarter MorgenRoſen; im Paradies am Schoͤ¬
pfungs-Morgen bluͤhten keine vollern.

Sie giengen zu Fuße dem zerſpaltenen Ge¬
buͤrge zu. Die Stadt war tief ſtill, nur in den
Gaͤrten ruͤſtete ſchon einer und der andere Beete
und Roſenhecken fuͤr den Fruͤhling zu und die
Rauchſaͤulen des Morgenbrods bogen ſich uͤber
die Daͤcher. Drauſſen flatterte ſchon Leben auf,
die Singdroſſel wurde in den nahen Tannen wach,
unten an der Faͤhre klang das Poſthorn heruͤber,
und aus dem Gebuͤrge donnerte der ewige Waſſerfall
heraus. Die drei Menſchen ſprachen, wie man
am Morgen pflegt, gleich der grauen Natur um
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[199/0207] Als noch viele Sterne in die Daͤmmerung ſchienen, rief der General den Notarius mit der froheſten Stimme aus dem Bette zur Berg-Par¬ tie; und dann nahm er ihn ſo liebreich auf — bis an die Stirnhaare laͤchelte er empor —, daß Walt ſehr beruhigt war und beſeeligt; der General, dacht' er, wuͤrde ganz anders mit mir reden, wenn er etwas wuͤſte. Winas Angeſicht bluͤhte voll zarter MorgenRoſen; im Paradies am Schoͤ¬ pfungs-Morgen bluͤhten keine vollern. Sie giengen zu Fuße dem zerſpaltenen Ge¬ buͤrge zu. Die Stadt war tief ſtill, nur in den Gaͤrten ruͤſtete ſchon einer und der andere Beete und Roſenhecken fuͤr den Fruͤhling zu und die Rauchſaͤulen des Morgenbrods bogen ſich uͤber die Daͤcher. Drauſſen flatterte ſchon Leben auf, die Singdroſſel wurde in den nahen Tannen wach, unten an der Faͤhre klang das Poſthorn heruͤber, und aus dem Gebuͤrge donnerte der ewige Waſſerfall heraus. Die drei Menſchen ſprachen, wie man am Morgen pflegt, gleich der grauen Natur um ſie her, nur einzelne Laute. Sie ſahen gen Oſten, woran das Gewoͤlke zu einem rothen Vorgebuͤrge

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/207>, abgerufen am 29.03.2024.