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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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mend dem Laufe der Chausseen nach, die wie
Flüsse die Landschaft schmücken, weil sie, wie die¬
se, ohne wohin und woher unendlich ziehen,
und das Leben spiegeln? -- Und dacht' er jezt
nicht, auf einer davon geht das stille Mädgen da¬
hin, und sieht den blauen Himmel und den Vater
an und denkt an vieles? --

Nur war er lange in Zweifel und Skrupel,
ob's nicht Sünde sei, das wenige von den Eltern
und Instrumenten gewonnene Geld blos vergnügt
zu verreisen, zumal da der Bruder Vult nach sei¬
ner Gewohnheit wieder anfieng, nicht viel zu ha¬
ben. Er las alle moralischen Regeln des reinen
Satzes genau durch, um zu erfahren, ob er diese
süßtönende Ausweichung oder diese Quinten-Fort¬
schreitung von Lust zu Lust in sein Kirchenstük
aufnehmen dürfe; und noch war er unentschie¬
den; als Flitte alles dadurch entschied, daß er
den Stadtthürmer, bei welchem er wohnte, zu
ihm schikte und sagen ließ, er liege auf dem Ster¬
bebette und wünsche noch diesen Abend sein Testa¬
ment durch einen Notar zu machen.

Wenn die Welt hinter dem Notar den Thurm

mend dem Laufe der Chauſſeen nach, die wie
Fluͤſſe die Landſchaft ſchmuͤcken, weil ſie, wie die¬
ſe, ohne wohin und woher unendlich ziehen,
und das Leben ſpiegeln? — Und dacht' er jezt
nicht, auf einer davon geht das ſtille Maͤdgen da¬
hin, und ſieht den blauen Himmel und den Vater
an und denkt an vieles? —

Nur war er lange in Zweifel und Skrupel,
ob's nicht Suͤnde ſei, das wenige von den Eltern
und Inſtrumenten gewonnene Geld blos vergnuͤgt
zu verreiſen, zumal da der Bruder Vult nach ſei¬
ner Gewohnheit wieder anfieng, nicht viel zu ha¬
ben. Er las alle moraliſchen Regeln des reinen
Satzes genau durch, um zu erfahren, ob er dieſe
ſuͤßtoͤnende Ausweichung oder dieſe Quinten-Fort¬
ſchreitung von Luſt zu Luſt in ſein Kirchenſtuͤk
aufnehmen duͤrfe; und noch war er unentſchie¬
den; als Flitte alles dadurch entſchied, daß er
den Stadtthuͤrmer, bei welchem er wohnte, zu
ihm ſchikte und ſagen ließ, er liege auf dem Ster¬
bebette und wuͤnſche noch dieſen Abend ſein Teſta¬
ment durch einen Notar zu machen.

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[47/0055] mend dem Laufe der Chauſſeen nach, die wie Fluͤſſe die Landſchaft ſchmuͤcken, weil ſie, wie die¬ ſe, ohne wohin und woher unendlich ziehen, und das Leben ſpiegeln? — Und dacht' er jezt nicht, auf einer davon geht das ſtille Maͤdgen da¬ hin, und ſieht den blauen Himmel und den Vater an und denkt an vieles? — Nur war er lange in Zweifel und Skrupel, ob's nicht Suͤnde ſei, das wenige von den Eltern und Inſtrumenten gewonnene Geld blos vergnuͤgt zu verreiſen, zumal da der Bruder Vult nach ſei¬ ner Gewohnheit wieder anfieng, nicht viel zu ha¬ ben. Er las alle moraliſchen Regeln des reinen Satzes genau durch, um zu erfahren, ob er dieſe ſuͤßtoͤnende Ausweichung oder dieſe Quinten-Fort¬ ſchreitung von Luſt zu Luſt in ſein Kirchenſtuͤk aufnehmen duͤrfe; und noch war er unentſchie¬ den; als Flitte alles dadurch entſchied, daß er den Stadtthuͤrmer, bei welchem er wohnte, zu ihm ſchikte und ſagen ließ, er liege auf dem Ster¬ bebette und wuͤnſche noch dieſen Abend ſein Teſta¬ ment durch einen Notar zu machen. Wenn die Welt hinter dem Notar den Thurm

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/55>, abgerufen am 28.03.2024.