Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite
Nro. 33. Strahlglimmer.

Die Brüder -- Wina.

Seelige, heilige Tage, welche auf die Versöh¬
nungsstunde der Menschen folgen! Die Liebe ist
wieder blöde und jungfräulich, der Geliebte neu
und verklärt, das Herz feiert seinen Mai und
die Auferstandenen vom Schlachtfelde begreifen
den vorigen vergessenen Krieg nicht.

Schlachten heitern den bezognen Himmel
auf; beide Brüder standen nach der ihrigen im
hellsten Wetter da und sahen sich und alles schön
beleuchtet. Walt, der nichts war als Lieben
und Geben, wuste jezt gar nicht, wie er beides
noch zärter, noch wärmer gegen seinen Bruder
sein könnte; denn er trachtete nach dem höchsten
Grade; die Narben der kleinen Gewissensbisse
brannten ihn noch ein wenig und die Thränen
des sonst dürren Vults hatt' er in seiner Seele
aufgehoben. Vult stand selber als ein Mensch
mit neuen Melodien aus dem Kanon der Liebe
da. Ob er diese gleich mehr durch Thaten als

Flegeljahre III. Bd. 1
Nro. 33. Strahlglimmer.

Die Bruͤder — Wina.

Seelige, heilige Tage, welche auf die Verſoͤh¬
nungsſtunde der Menſchen folgen! Die Liebe iſt
wieder bloͤde und jungfraͤulich, der Geliebte neu
und verklaͤrt, das Herz feiert ſeinen Mai und
die Auferſtandenen vom Schlachtfelde begreifen
den vorigen vergeſſenen Krieg nicht.

Schlachten heitern den bezognen Himmel
auf; beide Bruͤder ſtanden nach der ihrigen im
hellſten Wetter da und ſahen ſich und alles ſchoͤn
beleuchtet. Walt, der nichts war als Lieben
und Geben, wuſte jezt gar nicht, wie er beides
noch zaͤrter, noch waͤrmer gegen ſeinen Bruder
ſein koͤnnte; denn er trachtete nach dem hoͤchſten
Grade; die Narben der kleinen Gewiſſensbiſſe
brannten ihn noch ein wenig und die Thraͤnen
des ſonſt duͤrren Vults hatt' er in ſeiner Seele
aufgehoben. Vult ſtand ſelber als ein Menſch
mit neuen Melodien aus dem Kanon der Liebe
da. Ob er dieſe gleich mehr durch Thaten als

Flegeljahre III. Bd. 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0009" n="1"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#aq #b">N</hi> <hi rendition="#aq #sup">ro</hi> <hi rendition="#b">. 33. Strahlglimmer.</hi><lb/>
        </head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <argument>
          <p rendition="#c"> <hi rendition="#g">Die Bru&#x0364;der &#x2014; Wina.</hi> </p>
        </argument><lb/>
        <p><hi rendition="#in">S</hi>eelige, heilige Tage, welche auf die Ver&#x017F;o&#x0364;<lb/>
nungs&#x017F;tunde der Men&#x017F;chen folgen! Die Liebe i&#x017F;t<lb/>
wieder blo&#x0364;de und jungfra&#x0364;ulich, der Geliebte neu<lb/>
und verkla&#x0364;rt, das Herz feiert &#x017F;einen Mai und<lb/>
die Aufer&#x017F;tandenen vom Schlachtfelde begreifen<lb/>
den vorigen verge&#x017F;&#x017F;enen Krieg nicht.</p><lb/>
        <p>Schlachten heitern den bezognen Himmel<lb/>
auf; beide Bru&#x0364;der &#x017F;tanden nach der ihrigen im<lb/>
hell&#x017F;ten Wetter da und &#x017F;ahen &#x017F;ich und alles &#x017F;cho&#x0364;n<lb/>
beleuchtet. Walt, der nichts war als Lieben<lb/>
und Geben, wu&#x017F;te jezt gar nicht, wie er beides<lb/>
noch za&#x0364;rter, noch wa&#x0364;rmer gegen &#x017F;einen Bruder<lb/>
&#x017F;ein ko&#x0364;nnte; denn er trachtete nach dem ho&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/>
Grade; die Narben der kleinen Gewi&#x017F;&#x017F;ensbi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
brannten ihn noch ein wenig und die Thra&#x0364;nen<lb/>
des &#x017F;on&#x017F;t du&#x0364;rren Vults hatt' er in &#x017F;einer Seele<lb/>
aufgehoben. Vult &#x017F;tand &#x017F;elber als ein Men&#x017F;ch<lb/>
mit neuen Melodien aus dem Kanon der Liebe<lb/>
da. Ob er die&#x017F;e gleich mehr durch Thaten als<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Flegeljahre <hi rendition="#aq">III</hi>. Bd. 1<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1/0009] Nro. 33. Strahlglimmer. Die Bruͤder — Wina. Seelige, heilige Tage, welche auf die Verſoͤh¬ nungsſtunde der Menſchen folgen! Die Liebe iſt wieder bloͤde und jungfraͤulich, der Geliebte neu und verklaͤrt, das Herz feiert ſeinen Mai und die Auferſtandenen vom Schlachtfelde begreifen den vorigen vergeſſenen Krieg nicht. Schlachten heitern den bezognen Himmel auf; beide Bruͤder ſtanden nach der ihrigen im hellſten Wetter da und ſahen ſich und alles ſchoͤn beleuchtet. Walt, der nichts war als Lieben und Geben, wuſte jezt gar nicht, wie er beides noch zaͤrter, noch waͤrmer gegen ſeinen Bruder ſein koͤnnte; denn er trachtete nach dem hoͤchſten Grade; die Narben der kleinen Gewiſſensbiſſe brannten ihn noch ein wenig und die Thraͤnen des ſonſt duͤrren Vults hatt' er in ſeiner Seele aufgehoben. Vult ſtand ſelber als ein Menſch mit neuen Melodien aus dem Kanon der Liebe da. Ob er dieſe gleich mehr durch Thaten als Flegeljahre III. Bd. 1

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/9
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/9>, abgerufen am 25.04.2024.