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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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rüst seiner Forcerolle und die gleichgültige Jahrszeit
der fortgesetzten Intrigue gegen Opfer der Liebe oder
des Ehrgeizes. Hier ist jede Minute eine stechende
Moskite und der Distelsame des schöngefärbten Kum¬
mers fliegt weit herum.

Die Weiber sind gut und Anhänger des Linnäus
und ihre Augen ordnen die Männer botanisch nach
seinem schönen einfachen Sexualsystem: sie ma¬
chen unter tugendhafter und lasterhafter Liebe einen
grossen Unterschied, nämlich den des Grades oder
auch der Zeit; und die Beste spricht oft darüber
wie die Schlimmste und die Schlimmste wie die Be¬
ste. Indessen giebts hier weibliche Tugend und
mänliche Treue in ihrer Art -- aber einem Pfarrer
ist davon kein Begriff beizubrigen; und diese zwei
Geleen oder Gallerte sind so zart und weich, daß
ich sie, wenn ich sie auch von allen Stufen des
Throns hinuntertragen wollte in die Kaplanei, doch
so verdorben und anbrüchig hinabbrächte, daß man
ihnen drunten die zwei entgegengesetzten Namen ge¬
ben würde, für die wir doch schon unsre besondern
Gegenstände oben haben. Die Bürgerlichen würden
unsere bejahrten Männer in der Liebe lächerlich fin¬
den und diese euere Töchter. -- Was mir aber die¬
ses glückliche Hofleben oft versalzet, ist der allge¬
meine Mangel an Verstellung. Denn hier glaubt
keiner was er hört, und denkt keiner wie er aus¬

ruͤſt ſeiner Forcerolle und die gleichguͤltige Jahrszeit
der fortgeſetzten Intrigue gegen Opfer der Liebe oder
des Ehrgeizes. Hier iſt jede Minute eine ſtechende
Moskite und der Diſtelſame des ſchoͤngefaͤrbten Kum¬
mers fliegt weit herum.

Die Weiber ſind gut und Anhaͤnger des Linnaͤus
und ihre Augen ordnen die Maͤnner botaniſch nach
ſeinem ſchoͤnen einfachen Sexualſyſtem: ſie ma¬
chen unter tugendhafter und laſterhafter Liebe einen
groſſen Unterſchied, naͤmlich den des Grades oder
auch der Zeit; und die Beſte ſpricht oft daruͤber
wie die Schlimmſte und die Schlimmſte wie die Be¬
ſte. Indeſſen giebts hier weibliche Tugend und
maͤnliche Treue in ihrer Art — aber einem Pfarrer
iſt davon kein Begriff beizubrigen; und dieſe zwei
Geleen oder Gallerte ſind ſo zart und weich, daß
ich ſie, wenn ich ſie auch von allen Stufen des
Throns hinuntertragen wollte in die Kaplanei, doch
ſo verdorben und anbruͤchig hinabbraͤchte, daß man
ihnen drunten die zwei entgegengeſetzten Namen ge¬
ben wuͤrde, fuͤr die wir doch ſchon unſre beſondern
Gegenſtaͤnde oben haben. Die Buͤrgerlichen wuͤrden
unſere bejahrten Maͤnner in der Liebe laͤcherlich fin¬
den und dieſe euere Toͤchter. — Was mir aber die¬
ſes gluͤckliche Hofleben oft verſalzet, iſt der allge¬
meine Mangel an Verſtellung. Denn hier glaubt
keiner was er hoͤrt, und denkt keiner wie er aus¬

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[29/0039] ruͤſt ſeiner Forcerolle und die gleichguͤltige Jahrszeit der fortgeſetzten Intrigue gegen Opfer der Liebe oder des Ehrgeizes. Hier iſt jede Minute eine ſtechende Moskite und der Diſtelſame des ſchoͤngefaͤrbten Kum¬ mers fliegt weit herum. Die Weiber ſind gut und Anhaͤnger des Linnaͤus und ihre Augen ordnen die Maͤnner botaniſch nach ſeinem ſchoͤnen einfachen Sexualſyſtem: ſie ma¬ chen unter tugendhafter und laſterhafter Liebe einen groſſen Unterſchied, naͤmlich den des Grades oder auch der Zeit; und die Beſte ſpricht oft daruͤber wie die Schlimmſte und die Schlimmſte wie die Be¬ ſte. Indeſſen giebts hier weibliche Tugend und maͤnliche Treue in ihrer Art — aber einem Pfarrer iſt davon kein Begriff beizubrigen; und dieſe zwei Geleen oder Gallerte ſind ſo zart und weich, daß ich ſie, wenn ich ſie auch von allen Stufen des Throns hinuntertragen wollte in die Kaplanei, doch ſo verdorben und anbruͤchig hinabbraͤchte, daß man ihnen drunten die zwei entgegengeſetzten Namen ge¬ ben wuͤrde, fuͤr die wir doch ſchon unſre beſondern Gegenſtaͤnde oben haben. Die Buͤrgerlichen wuͤrden unſere bejahrten Maͤnner in der Liebe laͤcherlich fin¬ den und dieſe euere Toͤchter. — Was mir aber die¬ ſes gluͤckliche Hofleben oft verſalzet, iſt der allge¬ meine Mangel an Verſtellung. Denn hier glaubt keiner was er hoͤrt, und denkt keiner wie er aus¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/39>, abgerufen am 28.03.2024.