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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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Freilich aber wars so: Viktor hatte vor schönem
Wetter schöne Träume, vor elendem erschien ihm
der Satan mit seiner Sipschaft. Das schöne Sonn¬
abends-Wetter und der Gedanke an den Geburtstag
Klotildens und des Nachsommers gaben ihm einen
Morgentraum, der ein Theater für diese war. Eine
Person, die er hinter dem Schleier des Traums ge¬
sehen, stand für ihn den ganzen nächsten Tag in ei¬
nem zauberischen Wiederschein. Bei ihm irrten die
Träume -- diese Phalänen des Geistes -- wie andre
Phalänen über die Nacht und den Schlaf hinaus;
wenigstens Vormittags liebt' er jede Person im Wa¬
chen fort, die er im Traum zu lieben angefangen.
Diesesmal floß gar umgekehrt die wachende Liebe in
die träumende hinein und die wirkliche Klotilde fiel
mit der idealischen in Ein so leuchtendes Heiligen¬
bild zusammen, daß einer, der seinen Traum weiß,
sich ins Uebrige leicht findet. Deswegen muß der
Traum den Lesern gegeben werden, den poetischen
Lesern besonders -- für andere möchte ich eine Edi¬
zion der Hundsposttage veranstalten, wo er her¬
aus wäre: denn unpartheyische, die selber keine ha¬
ben, sollten keine lesen.

Euch aber, euch guten, nie belohnten weiblichen
Seelen, die ihr ein eignes zweites Gewissen ne¬
ben dem ersten, für reine Sitten habt -- deren ein¬
zige Tugend in der Nähe eine Sammlung von allen

Freilich aber wars ſo: Viktor hatte vor ſchoͤnem
Wetter ſchoͤne Traͤume, vor elendem erſchien ihm
der Satan mit ſeiner Sipſchaft. Das ſchoͤne Sonn¬
abends-Wetter und der Gedanke an den Geburtstag
Klotildens und des Nachſommers gaben ihm einen
Morgentraum, der ein Theater fuͤr dieſe war. Eine
Perſon, die er hinter dem Schleier des Traums ge¬
ſehen, ſtand fuͤr ihn den ganzen naͤchſten Tag in ei¬
nem zauberiſchen Wiederſchein. Bei ihm irrten die
Traͤume — dieſe Phalaͤnen des Geiſtes — wie andre
Phalaͤnen uͤber die Nacht und den Schlaf hinaus;
wenigſtens Vormittags liebt' er jede Perſon im Wa¬
chen fort, die er im Traum zu lieben angefangen.
Dieſesmal floß gar umgekehrt die wachende Liebe in
die traͤumende hinein und die wirkliche Klotilde fiel
mit der idealiſchen in Ein ſo leuchtendes Heiligen¬
bild zuſammen, daß einer, der ſeinen Traum weiß,
ſich ins Uebrige leicht findet. Deswegen muß der
Traum den Leſern gegeben werden, den poetiſchen
Leſern beſonders — fuͤr andere moͤchte ich eine Edi¬
zion der Hundspoſttage veranſtalten, wo er her¬
aus waͤre: denn unpartheyiſche, die ſelber keine ha¬
ben, ſollten keine leſen.

Euch aber, euch guten, nie belohnten weiblichen
Seelen, die ihr ein eignes zweites Gewiſſen ne¬
ben dem erſten, fuͤr reine Sitten habt — deren ein¬
zige Tugend in der Naͤhe eine Sammlung von allen

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[68/0078] Freilich aber wars ſo: Viktor hatte vor ſchoͤnem Wetter ſchoͤne Traͤume, vor elendem erſchien ihm der Satan mit ſeiner Sipſchaft. Das ſchoͤne Sonn¬ abends-Wetter und der Gedanke an den Geburtstag Klotildens und des Nachſommers gaben ihm einen Morgentraum, der ein Theater fuͤr dieſe war. Eine Perſon, die er hinter dem Schleier des Traums ge¬ ſehen, ſtand fuͤr ihn den ganzen naͤchſten Tag in ei¬ nem zauberiſchen Wiederſchein. Bei ihm irrten die Traͤume — dieſe Phalaͤnen des Geiſtes — wie andre Phalaͤnen uͤber die Nacht und den Schlaf hinaus; wenigſtens Vormittags liebt' er jede Perſon im Wa¬ chen fort, die er im Traum zu lieben angefangen. Dieſesmal floß gar umgekehrt die wachende Liebe in die traͤumende hinein und die wirkliche Klotilde fiel mit der idealiſchen in Ein ſo leuchtendes Heiligen¬ bild zuſammen, daß einer, der ſeinen Traum weiß, ſich ins Uebrige leicht findet. Deswegen muß der Traum den Leſern gegeben werden, den poetiſchen Leſern beſonders — fuͤr andere moͤchte ich eine Edi¬ zion der Hundspoſttage veranſtalten, wo er her¬ aus waͤre: denn unpartheyiſche, die ſelber keine ha¬ ben, ſollten keine leſen. Euch aber, euch guten, nie belohnten weiblichen Seelen, die ihr ein eignes zweites Gewiſſen ne¬ ben dem erſten, fuͤr reine Sitten habt — deren ein¬ zige Tugend in der Naͤhe eine Sammlung von allen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/78>, abgerufen am 28.03.2024.