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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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1. Pfingsttag. (33. Hundsposttag.)

Polizeiordnung der Freude -- Kirche -- der Abend -- die
Blütenhöle.


Viktor war am Pfingstmorgen kaum aus seinem
Schlafe, obwohl nicht aus seinen Träumen erwacht:
so sagte ihm das Leisereden aller seiner Gedanken, die
elysische Stille durch sein ganzes Herz, daß heute seine
Sabbathswochen angehen. Ohne Vorwürfe
und Vorsätze eines Fehltrittes, ohne einen Seufzer
seines Gewissens ging er unschuldig der Freude und
der Liebe entgegen. Je zärter und weicher eine Blu¬
me der Freude ist, desto reiner muß die Hand seyn,
die sie abbricht und blos thierische Weide verträgt
den Schmutz; so wie diejenigen, die den Kaiserthee
abpflücken, sich vorher alle grobe Kost versagen, um
das aromatische Laub unbesudelt abzunehmen. --
Viktor hatte draussen kaum Morgenröthe genug, um
auf seiner breiten Stundenuhr vom Zeidler Lind
die erste Stunde seines Sabbaths zu sehen; aber
diese Uhr, der Schrittzähler auf dem so schönen Le¬
benswege des Bienenvaters, und der Frühgottes¬
dienst der Natur, der in Stille besteht, machten

1. Pfingſttag. (33. Hundspoſttag.)

Polizeiordnung der Freude — Kirche — der Abend — die
Blütenhöle.


Viktor war am Pfingſtmorgen kaum aus ſeinem
Schlafe, obwohl nicht aus ſeinen Traͤumen erwacht:
ſo ſagte ihm das Leiſereden aller ſeiner Gedanken, die
elyſiſche Stille durch ſein ganzes Herz, daß heute ſeine
Sabbathswochen angehen. Ohne Vorwuͤrfe
und Vorſaͤtze eines Fehltrittes, ohne einen Seufzer
ſeines Gewiſſens ging er unſchuldig der Freude und
der Liebe entgegen. Je zaͤrter und weicher eine Blu¬
me der Freude iſt, deſto reiner muß die Hand ſeyn,
die ſie abbricht und blos thieriſche Weide vertraͤgt
den Schmutz; ſo wie diejenigen, die den Kaiſerthee
abpfluͤcken, ſich vorher alle grobe Koſt verſagen, um
das aromatiſche Laub unbeſudelt abzunehmen. —
Viktor hatte drauſſen kaum Morgenroͤthe genug, um
auf ſeiner breiten Stundenuhr vom Zeidler Lind
die erſte Stunde ſeines Sabbaths zu ſehen; aber
dieſe Uhr, der Schrittzaͤhler auf dem ſo ſchoͤnen Le¬
benswege des Bienenvaters, und der Fruͤhgottes¬
dienſt der Natur, der in Stille beſteht, machten

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[118/0128] 1. Pfingſttag. (33. Hundspoſttag.) Polizeiordnung der Freude — Kirche — der Abend — die Blütenhöle. Viktor war am Pfingſtmorgen kaum aus ſeinem Schlafe, obwohl nicht aus ſeinen Traͤumen erwacht: ſo ſagte ihm das Leiſereden aller ſeiner Gedanken, die elyſiſche Stille durch ſein ganzes Herz, daß heute ſeine Sabbathswochen angehen. Ohne Vorwuͤrfe und Vorſaͤtze eines Fehltrittes, ohne einen Seufzer ſeines Gewiſſens ging er unſchuldig der Freude und der Liebe entgegen. Je zaͤrter und weicher eine Blu¬ me der Freude iſt, deſto reiner muß die Hand ſeyn, die ſie abbricht und blos thieriſche Weide vertraͤgt den Schmutz; ſo wie diejenigen, die den Kaiſerthee abpfluͤcken, ſich vorher alle grobe Koſt verſagen, um das aromatiſche Laub unbeſudelt abzunehmen. — Viktor hatte drauſſen kaum Morgenroͤthe genug, um auf ſeiner breiten Stundenuhr vom Zeidler Lind die erſte Stunde ſeines Sabbaths zu ſehen; aber dieſe Uhr, der Schrittzaͤhler auf dem ſo ſchoͤnen Le¬ benswege des Bienenvaters, und der Fruͤhgottes¬ dienſt der Natur, der in Stille beſteht, machten

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/128>, abgerufen am 28.03.2024.