Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

"Morgen, in Morgen, über die Straße nach dem
"Vaterland, nach Morgenland, da schimmert
"der Triumphbogen, da öfnet sich die Ehrenpforte
"-- da ziehen die Sterbenden hindurch" ...

Und da es jetzt zwölf Uhr schlug: so breitete er
seine Hände verzückt gegen den Himmel, der blau
war über dem Berge, und gegen den Mond, der hei¬
ter neben dem Gewitter ruhte, und rief brechend
mit seeligen Thränen: "Habe Dank, Ewiger, für
"mein erstes Leben, für alle meine Freuden, für
"diese schöne Erde." --

Um Maienthal zogen Julius Flötentöne und er
sah auf die Erde nieder.

"Und bleibe du gesegnet, du gute Erde, du gu¬
"tes Mutterland, blühet ihr Gefilde Hindostans,
"lebe wohl, du schimmerndes Maienthal mit deinen
"Blumen und mit deinen Menschen -- und ihr Brü¬
"der alle kommt mir nach einem langen Lächeln see¬
"lig nach -- -- Jetzt, o Ewiger, nimm mich hinauf
"und tröste die zwei Bleibenden."

Die Todesengel standen auf allen Wolken und
zogen ihre blitzenden Schwerter aus den Nächten --
ein Donner schlug hinter dem andern wie wenn auf¬
geworfen würde eine Gefängnißthür des Erdenlebens
nach der andern.

Der schreckliche Lichtpunkt hatte sich verkrochen
aus der Mitte der Luft in den Pulverthurm.

S 2

»Morgen, in Morgen, uͤber die Straße nach dem
»Vaterland, nach Morgenland, da ſchimmert
»der Triumphbogen, da oͤfnet ſich die Ehrenpforte
»— da ziehen die Sterbenden hindurch« ...

Und da es jetzt zwoͤlf Uhr ſchlug: ſo breitete er
ſeine Haͤnde verzuͤckt gegen den Himmel, der blau
war uͤber dem Berge, und gegen den Mond, der hei¬
ter neben dem Gewitter ruhte, und rief brechend
mit ſeeligen Thraͤnen: »Habe Dank, Ewiger, fuͤr
»mein erſtes Leben, fuͤr alle meine Freuden, fuͤr
»dieſe ſchoͤne Erde.« —

Um Maienthal zogen Julius Floͤtentoͤne und er
ſah auf die Erde nieder.

»Und bleibe du geſegnet, du gute Erde, du gu¬
»tes Mutterland, bluͤhet ihr Gefilde Hindoſtans,
»lebe wohl, du ſchimmerndes Maienthal mit deinen
»Blumen und mit deinen Menſchen — und ihr Bruͤ¬
»der alle kommt mir nach einem langen Laͤcheln ſee¬
»lig nach — — Jetzt, o Ewiger, nimm mich hinauf
»und troͤſte die zwei Bleibenden.«

Die Todesengel ſtanden auf allen Wolken und
zogen ihre blitzenden Schwerter aus den Naͤchten —
ein Donner ſchlug hinter dem andern wie wenn auf¬
geworfen wuͤrde eine Gefaͤngnißthuͤr des Erdenlebens
nach der andern.

Der ſchreckliche Lichtpunkt hatte ſich verkrochen
aus der Mitte der Luft in den Pulverthurm.

S 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0285" n="275"/>
»<hi rendition="#g">Morgen</hi>, in Morgen, u&#x0364;ber die Straße nach dem<lb/>
»<hi rendition="#g">Vaterland</hi>, nach <hi rendition="#g">Morgenland</hi>, da &#x017F;chimmert<lb/>
»der Triumphbogen, da o&#x0364;fnet &#x017F;ich die Ehrenpforte<lb/>
»&#x2014; da ziehen die Sterbenden hindurch« ...</p><lb/>
            <p>Und da es jetzt zwo&#x0364;lf Uhr &#x017F;chlug: &#x017F;o breitete er<lb/>
&#x017F;eine Ha&#x0364;nde verzu&#x0364;ckt gegen den Himmel, der blau<lb/>
war u&#x0364;ber dem Berge, und gegen den Mond, der hei¬<lb/>
ter neben dem Gewitter ruhte, und rief brechend<lb/>
mit &#x017F;eeligen Thra&#x0364;nen: »Habe Dank, Ewiger, fu&#x0364;r<lb/>
»mein er&#x017F;tes Leben, fu&#x0364;r alle meine Freuden, fu&#x0364;r<lb/>
»die&#x017F;e &#x017F;cho&#x0364;ne Erde.« &#x2014;</p><lb/>
            <p>Um Maienthal zogen Julius Flo&#x0364;tento&#x0364;ne und er<lb/>
&#x017F;ah auf die Erde nieder.</p><lb/>
            <p>»Und bleibe du ge&#x017F;egnet, du gute Erde, du gu¬<lb/>
»tes Mutterland, blu&#x0364;het ihr Gefilde Hindo&#x017F;tans,<lb/>
»lebe wohl, du &#x017F;chimmerndes Maienthal mit deinen<lb/>
»Blumen und mit deinen Men&#x017F;chen &#x2014; und ihr Bru&#x0364;¬<lb/>
»der alle kommt mir nach einem langen La&#x0364;cheln &#x017F;ee¬<lb/>
»lig nach &#x2014; &#x2014; Jetzt, o Ewiger, nimm mich hinauf<lb/>
»und tro&#x0364;&#x017F;te die <hi rendition="#g">zwei</hi> Bleibenden.«</p><lb/>
            <p>Die Todesengel &#x017F;tanden auf allen Wolken und<lb/>
zogen ihre blitzenden Schwerter aus den Na&#x0364;chten &#x2014;<lb/>
ein Donner &#x017F;chlug hinter dem andern wie wenn auf¬<lb/>
geworfen wu&#x0364;rde eine Gefa&#x0364;ngnißthu&#x0364;r des Erdenlebens<lb/>
nach der andern.</p><lb/>
            <p>Der &#x017F;chreckliche Lichtpunkt hatte &#x017F;ich verkrochen<lb/>
aus der Mitte der Luft in den Pulverthurm.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">S 2<lb/></fw>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0285] »Morgen, in Morgen, uͤber die Straße nach dem »Vaterland, nach Morgenland, da ſchimmert »der Triumphbogen, da oͤfnet ſich die Ehrenpforte »— da ziehen die Sterbenden hindurch« ... Und da es jetzt zwoͤlf Uhr ſchlug: ſo breitete er ſeine Haͤnde verzuͤckt gegen den Himmel, der blau war uͤber dem Berge, und gegen den Mond, der hei¬ ter neben dem Gewitter ruhte, und rief brechend mit ſeeligen Thraͤnen: »Habe Dank, Ewiger, fuͤr »mein erſtes Leben, fuͤr alle meine Freuden, fuͤr »dieſe ſchoͤne Erde.« — Um Maienthal zogen Julius Floͤtentoͤne und er ſah auf die Erde nieder. »Und bleibe du geſegnet, du gute Erde, du gu¬ »tes Mutterland, bluͤhet ihr Gefilde Hindoſtans, »lebe wohl, du ſchimmerndes Maienthal mit deinen »Blumen und mit deinen Menſchen — und ihr Bruͤ¬ »der alle kommt mir nach einem langen Laͤcheln ſee¬ »lig nach — — Jetzt, o Ewiger, nimm mich hinauf »und troͤſte die zwei Bleibenden.« Die Todesengel ſtanden auf allen Wolken und zogen ihre blitzenden Schwerter aus den Naͤchten — ein Donner ſchlug hinter dem andern wie wenn auf¬ geworfen wuͤrde eine Gefaͤngnißthuͤr des Erdenlebens nach der andern. Der ſchreckliche Lichtpunkt hatte ſich verkrochen aus der Mitte der Luft in den Pulverthurm. S 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/285
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/285>, abgerufen am 25.04.2024.