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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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leere Stelle ihres Briefes aus und erzählte, wie ge¬
fast und still der Todte aus England gegangen und
vorher beim Abschiede in eine ausserordentlich tiefe
Höhle des verfallnen Tempels alle seine ostindischen
Blumen, drei Portraite, beschriebene Palmblätter
und geliebte Aschensammlungen hinabgesenkt habe. . . .

Viktor war ausser sich -- er stemmte seine Hand
aufs thaukalte nasse gelbe Grab, -- er weinte in
Einem fort und konnte die Geliebte nicht mehr se¬
hen -- er stürzte an ihren bebenden Mund und gab
ihr den Abschiedskuß des Todes. Er durfte sie
küssen, denn Todten haben keinen Rang. Er fühlte
ihre strömenden Thränen und eine fürchterliche Sehn¬
sucht ergriff ihn, diese Thränen hervorzureitzen; aber
er konnte nur nicht reden. Er erstickte ihre Worte
durch Küsse und seine durch Quaal. Endlich konnte
er sagen: lebe wohl! Sie wand sich erschrocken los
und blickte ihn an mit größern Thränen und sagte:
"wie ist Ihnen? Sie brechen mir das Herz?" --
Er sagte zuckend: "nur meines muß brechen!" und
riß das Herz von Wachs heraus und quetschte es
auf dem Grabe auseinander und sagte: "ich opfere
"dir mein Herz, Emanuel, ich opfere dir mein
"Herz." Und als Klotilde fürchtend entflohen war:
konnt' er ihr nur mit erschöpften Tönen noch tau¬
sendmal nachrufen: lebe wohl, lebe wohl!


leere Stelle ihres Briefes aus und erzaͤhlte, wie ge¬
faſt und ſtill der Todte aus England gegangen und
vorher beim Abſchiede in eine auſſerordentlich tiefe
Hoͤhle des verfallnen Tempels alle ſeine oſtindiſchen
Blumen, drei Portraite, beſchriebene Palmblaͤtter
und geliebte Aſchenſammlungen hinabgeſenkt habe. . . .

Viktor war auſſer ſich — er ſtemmte ſeine Hand
aufs thaukalte naſſe gelbe Grab, — er weinte in
Einem fort und konnte die Geliebte nicht mehr ſe¬
hen — er ſtuͤrzte an ihren bebenden Mund und gab
ihr den Abſchiedskuß des Todes. Er durfte ſie
kuͤſſen, denn Todten haben keinen Rang. Er fuͤhlte
ihre ſtroͤmenden Thraͤnen und eine fuͤrchterliche Sehn¬
ſucht ergriff ihn, dieſe Thraͤnen hervorzureitzen; aber
er konnte nur nicht reden. Er erſtickte ihre Worte
durch Kuͤſſe und ſeine durch Quaal. Endlich konnte
er ſagen: lebe wohl! Sie wand ſich erſchrocken los
und blickte ihn an mit groͤßern Thraͤnen und ſagte:
»wie iſt Ihnen? Sie brechen mir das Herz?» —
Er ſagte zuckend: »nur meines muß brechen!« und
riß das Herz von Wachs heraus und quetſchte es
auf dem Grabe auseinander und ſagte: »ich opfere
»dir mein Herz, Emanuel, ich opfere dir mein
»Herz.» Und als Klotilde fuͤrchtend entflohen war:
konnt' er ihr nur mit erſchoͤpften Toͤnen noch tau¬
ſendmal nachrufen: lebe wohl, lebe wohl!


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[372/0382] leere Stelle ihres Briefes aus und erzaͤhlte, wie ge¬ faſt und ſtill der Todte aus England gegangen und vorher beim Abſchiede in eine auſſerordentlich tiefe Hoͤhle des verfallnen Tempels alle ſeine oſtindiſchen Blumen, drei Portraite, beſchriebene Palmblaͤtter und geliebte Aſchenſammlungen hinabgeſenkt habe. . . . Viktor war auſſer ſich — er ſtemmte ſeine Hand aufs thaukalte naſſe gelbe Grab, — er weinte in Einem fort und konnte die Geliebte nicht mehr ſe¬ hen — er ſtuͤrzte an ihren bebenden Mund und gab ihr den Abſchiedskuß des Todes. Er durfte ſie kuͤſſen, denn Todten haben keinen Rang. Er fuͤhlte ihre ſtroͤmenden Thraͤnen und eine fuͤrchterliche Sehn¬ ſucht ergriff ihn, dieſe Thraͤnen hervorzureitzen; aber er konnte nur nicht reden. Er erſtickte ihre Worte durch Kuͤſſe und ſeine durch Quaal. Endlich konnte er ſagen: lebe wohl! Sie wand ſich erſchrocken los und blickte ihn an mit groͤßern Thraͤnen und ſagte: »wie iſt Ihnen? Sie brechen mir das Herz?» — Er ſagte zuckend: »nur meines muß brechen!« und riß das Herz von Wachs heraus und quetſchte es auf dem Grabe auseinander und ſagte: »ich opfere »dir mein Herz, Emanuel, ich opfere dir mein »Herz.» Und als Klotilde fuͤrchtend entflohen war: konnt' er ihr nur mit erſchoͤpften Toͤnen noch tau¬ ſendmal nachrufen: lebe wohl, lebe wohl!

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/382>, abgerufen am 25.04.2024.