zur Braut: "nimm hin das Angebinde deines Ge¬ "burtstages. Wenige Mütter sind reich genug, ein "solches zu geben -- aber auch wenige Töchter sind "gut genug, es zu erhalten." -- Das Brautpaar wurde vom Druck der schweren Wonne, des großen stummen Dankes vor ihr niedergedrückt auf die Knie und theilte sich in die zwei wohlthätigen Hände der Mutter; aber diese zog sie sanft aus fremden weg und legte den Liebenden die ihrigen in einander und schlüpfte davon mit dem Laute: "hieher will ich "unsre Gäste bringen!" -- --
-- O ihr zwei endlich beglückten, neben einan¬ der knieenden guten Seelen! wie unglücklich muß ein Mensch sein, der ohne eine Thräne der Freude, -- oder wie glücklich einer, der ohne eine Thräne der Sehnsucht euch sehen kann jetzt stumm und wei¬ nend einander in die Arme fallen -- nach so vielen Losreissungen endlich verknüpft -- nach so vielen Verblutungen endlich geheilt -- nach tausend tau¬ send Seufzern doch endlich beglückt -- und unaus¬ sprechlich beglückt durch Herzensunschuld und durch Seelenfrieden und durch Gott! -- Nein, ich kann heute meine nassen Augen nicht von euch wenden -- ich kann heute die andern guten Menschen nicht an¬ schauen und abzeichnen -- sondern ich lege meine Augen mit den zwei Thränen, die der Glückliche und der Unglückliche hat, fest und sanft auf meine
zur Braut: »nimm hin das Angebinde deines Ge¬ »burtstages. Wenige Muͤtter ſind reich genug, ein »ſolches zu geben — aber auch wenige Toͤchter ſind »gut genug, es zu erhalten.« — Das Brautpaar wurde vom Druck der ſchweren Wonne, des großen ſtummen Dankes vor ihr niedergedruͤckt auf die Knie und theilte ſich in die zwei wohlthaͤtigen Haͤnde der Mutter; aber dieſe zog ſie ſanft aus fremden weg und legte den Liebenden die ihrigen in einander und ſchluͤpfte davon mit dem Laute: »hieher will ich »unſre Gaͤſte bringen!« — —
— O ihr zwei endlich begluͤckten, neben einan¬ der knieenden guten Seelen! wie ungluͤcklich muß ein Menſch ſein, der ohne eine Thraͤne der Freude, — oder wie gluͤcklich einer, der ohne eine Thraͤne der Sehnſucht euch ſehen kann jetzt ſtumm und wei¬ nend einander in die Arme fallen — nach ſo vielen Losreiſſungen endlich verknuͤpft — nach ſo vielen Verblutungen endlich geheilt — nach tauſend tau¬ ſend Seufzern doch endlich begluͤckt — und unaus¬ ſprechlich begluͤckt durch Herzensunſchuld und durch Seelenfrieden und durch Gott! — Nein, ich kann heute meine naſſen Augen nicht von euch wenden — ich kann heute die andern guten Menſchen nicht an¬ ſchauen und abzeichnen — ſondern ich lege meine Augen mit den zwei Thraͤnen, die der Gluͤckliche und der Ungluͤckliche hat, feſt und ſanft auf meine
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zur Braut: »nimm hin das Angebinde deines Ge¬
»burtstages. Wenige Muͤtter ſind reich genug, ein
»ſolches zu geben — aber auch wenige Toͤchter ſind
»gut genug, es zu erhalten.« — Das Brautpaar
wurde vom Druck der ſchweren Wonne, des großen
ſtummen Dankes vor ihr niedergedruͤckt auf die Knie
und theilte ſich in die zwei wohlthaͤtigen Haͤnde der
Mutter; aber dieſe zog ſie ſanft aus fremden weg
und legte den Liebenden die ihrigen in einander und
ſchluͤpfte davon mit dem Laute: »hieher will ich
»unſre Gaͤſte bringen!« — —
— O ihr zwei endlich begluͤckten, neben einan¬
der knieenden guten Seelen! wie ungluͤcklich muß
ein Menſch ſein, der ohne eine Thraͤne der Freude,
— oder wie gluͤcklich einer, der ohne eine Thraͤne
der Sehnſucht euch ſehen kann jetzt ſtumm und wei¬
nend einander in die Arme fallen — nach ſo vielen
Losreiſſungen endlich verknuͤpft — nach ſo vielen
Verblutungen endlich geheilt — nach tauſend tau¬
ſend Seufzern doch endlich begluͤckt — und unaus¬
ſprechlich begluͤckt durch Herzensunſchuld und durch
Seelenfrieden und durch Gott! — Nein, ich kann
heute meine naſſen Augen nicht von euch wenden —
ich kann heute die andern guten Menſchen nicht an¬
ſchauen und abzeichnen — ſondern ich lege meine
Augen mit den zwei Thraͤnen, die der Gluͤckliche
und der Ungluͤckliche hat, feſt und ſanft auf meine
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/418>, abgerufen am 23.04.2024.
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