Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

chen um sich, um die Lanzette wegzuschlagen, die zu
seinen Knien lag. "Wer hat dir denn gethan?"
sagt' er mit der sanftesten vom heftigsten Mitleid
brechenden Stimme; aber eh' es sprach, kam ein
altes verwüstetes Bettelweib näher und sagte, im
Gebüsch wär' ein Bettler hingeschossen, der's Kind
blenden hätte wollen, um darauf zu betteln. Al¬
lein das Kind krümmte sich mit größern Konvulsio¬
nen an seine Hand und sagte: "o! sie will mich
"wieder schneiden." Der Rittmeister errieth die
Spitzbüberei, schlitzte den nächsten Ast herab, peitsch¬
te die Elende mit verfehlender Wuth ins Angesicht
und lief mit dem Blinden auf dem Arm dem furcht¬
samen Wagen zu. Es war ein herzerdrückender
Anblick, der unschuldige Wurm mit feinen Zügen
und Bewegungen in Lumpen und mit roth einge¬
runzelten Augen! --


chen um ſich, um die Lanzette wegzuſchlagen, die zu
ſeinen Knien lag. „Wer hat dir denn gethan?“
ſagt' er mit der ſanfteſten vom heftigſten Mitleid
brechenden Stimme; aber eh' es ſprach, kam ein
altes verwuͤſtetes Bettelweib naͤher und ſagte, im
Gebuͤſch waͤr' ein Bettler hingeſchoſſen, der's Kind
blenden haͤtte wollen, um darauf zu betteln. Al¬
lein das Kind kruͤmmte ſich mit groͤßern Konvulſio¬
nen an ſeine Hand und ſagte: „o! ſie will mich
„wieder ſchneiden.“ Der Rittmeiſter errieth die
Spitzbuͤberei, ſchlitzte den naͤchſten Aſt herab, peitſch¬
te die Elende mit verfehlender Wuth ins Angeſicht
und lief mit dem Blinden auf dem Arm dem furcht¬
ſamen Wagen zu. Es war ein herzerdruͤckender
Anblick, der unſchuldige Wurm mit feinen Zuͤgen
und Bewegungen in Lumpen und mit roth einge¬
runzelten Augen! —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0145" n="109"/>
chen um &#x017F;ich, um die Lanzette wegzu&#x017F;chlagen, die zu<lb/>
&#x017F;einen Knien lag. &#x201E;Wer hat dir denn gethan?&#x201C;<lb/>
&#x017F;agt' er mit der &#x017F;anfte&#x017F;ten vom heftig&#x017F;ten Mitleid<lb/>
brechenden Stimme; aber eh' es &#x017F;prach, kam ein<lb/>
altes verwu&#x0364;&#x017F;tetes Bettelweib na&#x0364;her und &#x017F;agte, im<lb/>
Gebu&#x0364;&#x017F;ch wa&#x0364;r' ein Bettler hinge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en, der's Kind<lb/>
blenden ha&#x0364;tte wollen, um darauf zu betteln. Al¬<lb/>
lein das Kind kru&#x0364;mmte &#x017F;ich mit gro&#x0364;ßern Konvul&#x017F;io¬<lb/>
nen an &#x017F;eine Hand und &#x017F;agte: &#x201E;o! &#x017F;ie will mich<lb/>
&#x201E;wieder &#x017F;chneiden.&#x201C; Der Rittmei&#x017F;ter errieth die<lb/>
Spitzbu&#x0364;berei, &#x017F;chlitzte den na&#x0364;ch&#x017F;ten A&#x017F;t herab, peit&#x017F;ch¬<lb/>
te die Elende mit verfehlender Wuth ins Ange&#x017F;icht<lb/>
und lief mit dem Blinden auf dem Arm dem furcht¬<lb/>
&#x017F;amen Wagen zu. Es war ein herzerdru&#x0364;ckender<lb/>
Anblick, der un&#x017F;chuldige Wurm mit feinen Zu&#x0364;gen<lb/>
und Bewegungen in Lumpen und mit roth einge¬<lb/>
runzelten Augen! &#x2014;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0145] chen um ſich, um die Lanzette wegzuſchlagen, die zu ſeinen Knien lag. „Wer hat dir denn gethan?“ ſagt' er mit der ſanfteſten vom heftigſten Mitleid brechenden Stimme; aber eh' es ſprach, kam ein altes verwuͤſtetes Bettelweib naͤher und ſagte, im Gebuͤſch waͤr' ein Bettler hingeſchoſſen, der's Kind blenden haͤtte wollen, um darauf zu betteln. Al¬ lein das Kind kruͤmmte ſich mit groͤßern Konvulſio¬ nen an ſeine Hand und ſagte: „o! ſie will mich „wieder ſchneiden.“ Der Rittmeiſter errieth die Spitzbuͤberei, ſchlitzte den naͤchſten Aſt herab, peitſch¬ te die Elende mit verfehlender Wuth ins Angeſicht und lief mit dem Blinden auf dem Arm dem furcht¬ ſamen Wagen zu. Es war ein herzerdruͤckender Anblick, der unſchuldige Wurm mit feinen Zuͤgen und Bewegungen in Lumpen und mit roth einge¬ runzelten Augen! —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/145
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/145>, abgerufen am 19.04.2024.