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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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mein Paternosterwerk war seine Liebe zu mir; Kin¬
der lieben so leicht, so innig; wie schlimm muß
der's treiben, den sie hassen! Auch der Skala mei¬
ner Strafen-Karolina oder Theresiana standen --
statt der pädagogischen Ehren- und Leibesstrafen --
Kälte, ein trauernder Blick, ein traurender Ver¬
weis und die höchste, das Drohen fortzugehen.
Kinder von zartem Herzen und von einer immer
durch den Wind aufgehobnen Phantasie wie Gu¬
stav sind am leichtesten zu wenden und zu drehen;
aber auch ein einziger falscher Riß des Lenkseils
verwirrt und verstockt sie auf immer. Besonders
sind die Flitterwochen einer solchen Erziehung so
gefährlich wie die in der Ehe mit einer feinfühlen¬
den Frau, bei der ein einziger kakochymischer Nach¬
mittag durch keine künftigen Jahrs- und Tags¬
zeiten
wieder auszutilgen ist. Ich wills nur be¬
kennen: eben einer solchen sensitiven Frau wegen
bin ich Informator geworden. Da die Weiber
(hieß es in mir) in einem frappanten Grade alle
Vollkommenheiten der Kinder haben -- die Fehler
derselben schon weniger: -- so kann ein Mensch,
der an den so weit auseinander stehenden Aesten
der Kinder sein Gespinnste anzukleben und anzuzie¬

mein Paternoſterwerk war ſeine Liebe zu mir; Kin¬
der lieben ſo leicht, ſo innig; wie ſchlimm muß
der's treiben, den ſie haſſen! Auch der Skala mei¬
ner Strafen-Karolina oder Thereſiana ſtanden —
ſtatt der paͤdagogiſchen Ehren- und Leibesſtrafen —
Kaͤlte, ein trauernder Blick, ein traurender Ver¬
weis und die hoͤchſte, das Drohen fortzugehen.
Kinder von zartem Herzen und von einer immer
durch den Wind aufgehobnen Phantaſie wie Gu¬
ſtav ſind am leichteſten zu wenden und zu drehen;
aber auch ein einziger falſcher Riß des Lenkſeils
verwirrt und verſtockt ſie auf immer. Beſonders
ſind die Flitterwochen einer ſolchen Erziehung ſo
gefaͤhrlich wie die in der Ehe mit einer feinfuͤhlen¬
den Frau, bei der ein einziger kakochymiſcher Nach¬
mittag durch keine kuͤnftigen Jahrs- und Tags¬
zeiten
wieder auszutilgen iſt. Ich wills nur be¬
kennen: eben einer ſolchen ſenſitiven Frau wegen
bin ich Informator geworden. Da die Weiber
(hieß es in mir) in einem frappanten Grade alle
Vollkommenheiten der Kinder haben — die Fehler
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[204/0240] mein Paternoſterwerk war ſeine Liebe zu mir; Kin¬ der lieben ſo leicht, ſo innig; wie ſchlimm muß der's treiben, den ſie haſſen! Auch der Skala mei¬ ner Strafen-Karolina oder Thereſiana ſtanden — ſtatt der paͤdagogiſchen Ehren- und Leibesſtrafen — Kaͤlte, ein trauernder Blick, ein traurender Ver¬ weis und die hoͤchſte, das Drohen fortzugehen. Kinder von zartem Herzen und von einer immer durch den Wind aufgehobnen Phantaſie wie Gu¬ ſtav ſind am leichteſten zu wenden und zu drehen; aber auch ein einziger falſcher Riß des Lenkſeils verwirrt und verſtockt ſie auf immer. Beſonders ſind die Flitterwochen einer ſolchen Erziehung ſo gefaͤhrlich wie die in der Ehe mit einer feinfuͤhlen¬ den Frau, bei der ein einziger kakochymiſcher Nach¬ mittag durch keine kuͤnftigen Jahrs- und Tags¬ zeiten wieder auszutilgen iſt. Ich wills nur be¬ kennen: eben einer ſolchen ſenſitiven Frau wegen bin ich Informator geworden. Da die Weiber (hieß es in mir) in einem frappanten Grade alle Vollkommenheiten der Kinder haben — die Fehler derſelben ſchon weniger: — ſo kann ein Menſch, der an den ſo weit auseinander ſtehenden Aeſten der Kinder ſein Geſpinnſte anzukleben und anzuzie¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/240>, abgerufen am 24.04.2024.