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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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hört. Sich selber, Leib und Seele nämlich hatt'
er schon in alle Sprachen übersetzt aus seinem fran¬
zösischen Mutter-Patois. Die schönen Geister in
Scheerau (vielleicht auch mich) und in Branden¬
burg verachtete der Narr, nicht bloß weil er aus
Wien war, wo zwar kein Erdbeben einen Parnas
aber doch die Maulwurfs-Schnäutzchen von hun¬
dert Broschüristen Duodez-Parnäschen aufstiessen
und wo die daraufstehenden Wiener Bürger denken,
der Neid blicke hinauf, weil der Hochmuth herun¬
terguckt -- sondern er verachtete uns sämtlich, weil
er Geld, Welt, Verbindungen und Hofgeschmack
hatte. Der Fürst Kauniz zog ihn einmal (wenn's
wahr ist) zu einem Souper und Bail, wo es so
zahlreich und brillant zugieng, daß der Greis gar
nicht wußte, daß Oefel bei ihm gespeiset und ge¬
tanzt. Da sein Bruder Oberhofmarschall und er sel¬
ber sehr reich war: so hatte niemand in ganz Schee¬
rau Geschmack genug, seine Verse zu lesen als der
Hof; für den waren sie, der konnte solche Verse
wie die Grasparthien des Parks, ungehindert durch¬
laufen, so klein, weich und beschoren war ihr
Wuchs -- zweitens gab er sie nicht auf Druck¬
papier sondern auf seidnen Bändern, Strumpf¬

hoͤrt. Sich ſelber, Leib und Seele naͤmlich hatt'
er ſchon in alle Sprachen uͤberſetzt aus ſeinem fran¬
zoͤſiſchen Mutter-Patois. Die ſchoͤnen Geiſter in
Scheerau (vielleicht auch mich) und in Branden¬
burg verachtete der Narr, nicht bloß weil er aus
Wien war, wo zwar kein Erdbeben einen Parnas
aber doch die Maulwurfs-Schnaͤutzchen von hun¬
dert Broſchuͤriſten Duodez-Parnaͤschen aufſtieſſen
und wo die daraufſtehenden Wiener Buͤrger denken,
der Neid blicke hinauf, weil der Hochmuth herun¬
terguckt — ſondern er verachtete uns ſaͤmtlich, weil
er Geld, Welt, Verbindungen und Hofgeſchmack
hatte. Der Fuͤrſt Kauniz zog ihn einmal (wenn's
wahr iſt) zu einem Souper und Bail, wo es ſo
zahlreich und brillant zugieng, daß der Greis gar
nicht wußte, daß Oefel bei ihm geſpeiſet und ge¬
tanzt. Da ſein Bruder Oberhofmarſchall und er ſel¬
ber ſehr reich war: ſo hatte niemand in ganz Schee¬
rau Geſchmack genug, ſeine Verſe zu leſen als der
Hof; fuͤr den waren ſie, der konnte ſolche Verſe
wie die Grasparthien des Parks, ungehindert durch¬
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Wuchs — zweitens gab er ſie nicht auf Druck¬
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[341/0377] hoͤrt. Sich ſelber, Leib und Seele naͤmlich hatt' er ſchon in alle Sprachen uͤberſetzt aus ſeinem fran¬ zoͤſiſchen Mutter-Patois. Die ſchoͤnen Geiſter in Scheerau (vielleicht auch mich) und in Branden¬ burg verachtete der Narr, nicht bloß weil er aus Wien war, wo zwar kein Erdbeben einen Parnas aber doch die Maulwurfs-Schnaͤutzchen von hun¬ dert Broſchuͤriſten Duodez-Parnaͤschen aufſtieſſen und wo die daraufſtehenden Wiener Buͤrger denken, der Neid blicke hinauf, weil der Hochmuth herun¬ terguckt — ſondern er verachtete uns ſaͤmtlich, weil er Geld, Welt, Verbindungen und Hofgeſchmack hatte. Der Fuͤrſt Kauniz zog ihn einmal (wenn's wahr iſt) zu einem Souper und Bail, wo es ſo zahlreich und brillant zugieng, daß der Greis gar nicht wußte, daß Oefel bei ihm geſpeiſet und ge¬ tanzt. Da ſein Bruder Oberhofmarſchall und er ſel¬ ber ſehr reich war: ſo hatte niemand in ganz Schee¬ rau Geſchmack genug, ſeine Verſe zu leſen als der Hof; fuͤr den waren ſie, der konnte ſolche Verſe wie die Grasparthien des Parks, ungehindert durch¬ laufen, ſo klein, weich und beſchoren war ihr Wuchs — zweitens gab er ſie nicht auf Druck¬ papier ſondern auf ſeidnen Baͤndern, Strumpf¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/377>, abgerufen am 28.03.2024.