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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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weniger als er weiß und wird. Sage mir, was
verrichten denn vor dem fürstlichen Portrait über
dem Präsidentenstuhl oder gar vor einem verschnit¬
tenen regierenden Gesicht selbst, dein Scharfsinn,
dein Herz, deine Energie? Die zurückgepreßten
in einander sich krümmenden Zweige drücken das
Fenster des Winterhauses, der Regent lässet in
der compotiere ihre Frucht vor seinem Teller vor¬
übergehen, der blaue Himmel fehlet ihnen, das
Gescheuteste ist noch daß sie verfaulen! -- Was
thun denn die edelsten Kräfte in dir, wenn Wo¬
chen und Monate verströmen, die sie nicht brau¬
chen, nicht rufen, nicht üben? Wenn ich oft so der
Unmöglichkeit zusah, in allen unsern monarchischen
Aemtern ein ganzer, ein edel thätiger, ein all¬
gemein-nützlicher Mensch zu sein -- selbst der Mo¬
narch kann nicht mit denen unendlich vielen schwar¬
zen subalternen Klauen und Händen, die er erst
als Finger oder Griffe an seine Hände anschienen
muß, etwas vollendet Gutes thun -- so oft ich so
zusah, so wünscht' ich, ich würde gehenkt mit
meinen Räubern, wär' aber vorher ihr Haupt¬
mann und rennte mit ihnen die alte Konstitution
nieder! . . . . Geliebter Fenk! dein Herz reisset

weniger als er weiß und wird. Sage mir, was
verrichten denn vor dem fuͤrſtlichen Portrait uͤber
dem Praͤſidentenſtuhl oder gar vor einem verſchnit¬
tenen regierenden Geſicht ſelbſt, dein Scharfſinn,
dein Herz, deine Energie? Die zuruͤckgepreßten
in einander ſich kruͤmmenden Zweige druͤcken das
Fenſter des Winterhauſes, der Regent laͤſſet in
der compotiére ihre Frucht vor ſeinem Teller vor¬
uͤbergehen, der blaue Himmel fehlet ihnen, das
Geſcheuteſte iſt noch daß ſie verfaulen! — Was
thun denn die edelſten Kraͤfte in dir, wenn Wo¬
chen und Monate verſtroͤmen, die ſie nicht brau¬
chen, nicht rufen, nicht uͤben? Wenn ich oft ſo der
Unmoͤglichkeit zuſah, in allen unſern monarchiſchen
Aemtern ein ganzer, ein edel thaͤtiger, ein all¬
gemein-nuͤtzlicher Menſch zu ſein — ſelbſt der Mo¬
narch kann nicht mit denen unendlich vielen ſchwar¬
zen ſubalternen Klauen und Haͤnden, die er erſt
als Finger oder Griffe an ſeine Haͤnde anſchienen
muß, etwas vollendet Gutes thun — ſo oft ich ſo
zuſah, ſo wuͤnſcht' ich, ich wuͤrde gehenkt mit
meinen Raͤubern, waͤr' aber vorher ihr Haupt¬
mann und rennte mit ihnen die alte Konſtitution
nieder! . . . . Geliebter Fenk! dein Herz reiſſet

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[367/0403] weniger als er weiß und wird. Sage mir, was verrichten denn vor dem fuͤrſtlichen Portrait uͤber dem Praͤſidentenſtuhl oder gar vor einem verſchnit¬ tenen regierenden Geſicht ſelbſt, dein Scharfſinn, dein Herz, deine Energie? Die zuruͤckgepreßten in einander ſich kruͤmmenden Zweige druͤcken das Fenſter des Winterhauſes, der Regent laͤſſet in der compotiére ihre Frucht vor ſeinem Teller vor¬ uͤbergehen, der blaue Himmel fehlet ihnen, das Geſcheuteſte iſt noch daß ſie verfaulen! — Was thun denn die edelſten Kraͤfte in dir, wenn Wo¬ chen und Monate verſtroͤmen, die ſie nicht brau¬ chen, nicht rufen, nicht uͤben? Wenn ich oft ſo der Unmoͤglichkeit zuſah, in allen unſern monarchiſchen Aemtern ein ganzer, ein edel thaͤtiger, ein all¬ gemein-nuͤtzlicher Menſch zu ſein — ſelbſt der Mo¬ narch kann nicht mit denen unendlich vielen ſchwar¬ zen ſubalternen Klauen und Haͤnden, die er erſt als Finger oder Griffe an ſeine Haͤnde anſchienen muß, etwas vollendet Gutes thun — ſo oft ich ſo zuſah, ſo wuͤnſcht' ich, ich wuͤrde gehenkt mit meinen Raͤubern, waͤr' aber vorher ihr Haupt¬ mann und rennte mit ihnen die alte Konſtitution nieder! . . . . Geliebter Fenk! dein Herz reiſſet

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/403>, abgerufen am 18.04.2024.