Da aber die gehörige Anstallt über der Höhle ge¬ troffen war: so fieng unten einmal der Genius an, es vorzusingen, indeß mit ihm oben ein be¬ gleitendes Waldhorn anfieng, (das an einem mei¬ sterhaften Munde die Flöte erreicht) und die zie¬ henden Adagio-Klagen sanken durch die dämpfende Erde in ihre Ohren und Herzen wie ein warmer Regen nieder. . . .
Gustavs Auge stand in der ersten Freudenthrä¬ ne -- sein Herz drehte sich um -- er glaubte, nun stürb' es an den Tönen schon.
O Musik! Nachklang aus einer entlegnen har¬ monischen Welt! Seufzer des Engels in uns! Wenn das Wort sprachlos ist, und die Umarmung, und das Auge, und das weinende, und wenn un¬ sre stummen Herzen hinter dem Brust-Gitter ein¬ sam liegen: o so bist nur du es, wodurch sie sich einander zurufen in ihren Kerkern und wo¬ durch sie ihre entfernten Seufzer vereinigen in ih¬ rer Wüste! --
Wie beim wahren Sterben näherte der Genius seinen Zögling bei diesem nachgeahmten, auf der Stufenleiter der fünf Sinne dem Himmel. Er schmückte den scheinbaren Tod zum Vortheil des
Da aber die gehoͤrige Anſtallt uͤber der Hoͤhle ge¬ troffen war: ſo fieng unten einmal der Genius an, es vorzuſingen, indeß mit ihm oben ein be¬ gleitendes Waldhorn anfieng, (das an einem mei¬ ſterhaften Munde die Floͤte erreicht) und die zie¬ henden Adagio-Klagen ſanken durch die daͤmpfende Erde in ihre Ohren und Herzen wie ein warmer Regen nieder. . . .
Guſtavs Auge ſtand in der erſten Freudenthraͤ¬ ne — ſein Herz drehte ſich um — er glaubte, nun ſtuͤrb' es an den Toͤnen ſchon.
O Muſik! Nachklang aus einer entlegnen har¬ moniſchen Welt! Seufzer des Engels in uns! Wenn das Wort ſprachlos iſt, und die Umarmung, und das Auge, und das weinende, und wenn un¬ ſre ſtummen Herzen hinter dem Bruſt-Gitter ein¬ ſam liegen: o ſo biſt nur du es, wodurch ſie ſich einander zurufen in ihren Kerkern und wo¬ durch ſie ihre entfernten Seufzer vereinigen in ih¬ rer Wuͤſte! —
Wie beim wahren Sterben naͤherte der Genius ſeinen Zoͤgling bei dieſem nachgeahmten, auf der Stufenleiter der fuͤnf Sinne dem Himmel. Er ſchmuͤckte den ſcheinbaren Tod zum Vortheil des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0089"n="53"/>
Da aber die gehoͤrige Anſtallt uͤber der Hoͤhle ge¬<lb/>
troffen war: ſo fieng unten einmal der Genius<lb/>
an, es vorzuſingen, indeß mit ihm oben ein be¬<lb/>
gleitendes Waldhorn anfieng, (das an einem mei¬<lb/>ſterhaften Munde die Floͤte erreicht) und die zie¬<lb/>
henden Adagio-Klagen ſanken durch die daͤmpfende<lb/>
Erde in ihre Ohren und Herzen wie ein warmer<lb/>
Regen nieder. . . .</p><lb/><p>Guſtavs Auge ſtand in der erſten Freudenthraͤ¬<lb/>
ne —ſein Herz drehte ſich um — er glaubte, nun<lb/>ſtuͤrb' es an den Toͤnen ſchon.</p><lb/><p>O Muſik! Nachklang aus einer entlegnen har¬<lb/>
moniſchen Welt! Seufzer des Engels in uns!<lb/>
Wenn das Wort ſprachlos iſt, und die Umarmung,<lb/>
und das Auge, und das weinende, und wenn un¬<lb/>ſre ſtummen Herzen hinter dem Bruſt-Gitter ein¬<lb/>ſam liegen: o ſo biſt nur du es, wodurch ſie<lb/>ſich einander zurufen in ihren Kerkern und wo¬<lb/>
durch ſie ihre entfernten Seufzer vereinigen in ih¬<lb/>
rer Wuͤſte! —</p><lb/><p>Wie beim wahren Sterben naͤherte der Genius<lb/>ſeinen Zoͤgling bei dieſem nachgeahmten, auf der<lb/>
Stufenleiter der fuͤnf Sinne dem Himmel. Er<lb/>ſchmuͤckte den ſcheinbaren Tod zum Vortheil des<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[53/0089]
Da aber die gehoͤrige Anſtallt uͤber der Hoͤhle ge¬
troffen war: ſo fieng unten einmal der Genius
an, es vorzuſingen, indeß mit ihm oben ein be¬
gleitendes Waldhorn anfieng, (das an einem mei¬
ſterhaften Munde die Floͤte erreicht) und die zie¬
henden Adagio-Klagen ſanken durch die daͤmpfende
Erde in ihre Ohren und Herzen wie ein warmer
Regen nieder. . . .
Guſtavs Auge ſtand in der erſten Freudenthraͤ¬
ne — ſein Herz drehte ſich um — er glaubte, nun
ſtuͤrb' es an den Toͤnen ſchon.
O Muſik! Nachklang aus einer entlegnen har¬
moniſchen Welt! Seufzer des Engels in uns!
Wenn das Wort ſprachlos iſt, und die Umarmung,
und das Auge, und das weinende, und wenn un¬
ſre ſtummen Herzen hinter dem Bruſt-Gitter ein¬
ſam liegen: o ſo biſt nur du es, wodurch ſie
ſich einander zurufen in ihren Kerkern und wo¬
durch ſie ihre entfernten Seufzer vereinigen in ih¬
rer Wuͤſte! —
Wie beim wahren Sterben naͤherte der Genius
ſeinen Zoͤgling bei dieſem nachgeahmten, auf der
Stufenleiter der fuͤnf Sinne dem Himmel. Er
ſchmuͤckte den ſcheinbaren Tod zum Vortheil des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/89>, abgerufen am 19.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.