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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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ist und wenn nicht beide in euch Eine Thräne ver¬
einigt! -- Du Himmel und Erde, eure jezige
Gestallt ist ein Bild (wie eine Mutter) einer sol¬
chen Vereinigung: die in unser frierendes Au¬
ge tröstend hinein blickende Lichtwelt, die Sonne
verwandelt den blauen Aether um sich in eine blaue
Nacht, die sich über dem blitzenden Grund der
beschneiten Erde noch tiefer schattiert und der
Mensch sieht sehnend an seinem Himmel eine her¬
über gezogne Nacht und Eine Licht-Ritze, die tie¬
fe Oefnung und Straße gegen hellere Welten
hin. . . .

Die vergangne Nacht führt noch meine Feder.
Es ist nämlich in Auenthal wie an vielen Orten Sit¬
te, daß in der letzten feierlichen Nacht des Jahrs
auf dem Thurm aus Waldhörnern u. a. gleichsam
ein Nachhal der verklungnen Tage oder eine Leichen¬
musik des umgesunknen Jahrs ertönt. Als ich mei¬
nen guten Wuz nebst einigen Gehülfen in der un¬
tern Stube einiges Geräusch und einige Probe-Tö¬
ne machen hörte, stand ich auf und gieng mit
meiner aufgewachten Schwester ans enge Fenster.
In der stillen Nacht hörte man ihren Hinauftritt
auf den Thurm. Ueber unser Fenster lag jener

iſt und wenn nicht beide in euch Eine Thraͤne ver¬
einigt! — Du Himmel und Erde, eure jezige
Geſtallt iſt ein Bild (wie eine Mutter) einer ſol¬
chen Vereinigung: die in unſer frierendes Au¬
ge troͤſtend hinein blickende Lichtwelt, die Sonne
verwandelt den blauen Aether um ſich in eine blaue
Nacht, die ſich uͤber dem blitzenden Grund der
beſchneiten Erde noch tiefer ſchattiert und der
Menſch ſieht ſehnend an ſeinem Himmel eine her¬
uͤber gezogne Nacht und Eine Licht-Ritze, die tie¬
fe Oefnung und Straße gegen hellere Welten
hin. . . .

Die vergangne Nacht fuͤhrt noch meine Feder.
Es iſt naͤmlich in Auenthal wie an vielen Orten Sit¬
te, daß in der letzten feierlichen Nacht des Jahrs
auf dem Thurm aus Waldhoͤrnern u. a. gleichſam
ein Nachhal der verklungnen Tage oder eine Leichen¬
muſik des umgeſunknen Jahrs ertoͤnt. Als ich mei¬
nen guten Wuz nebſt einigen Gehuͤlfen in der un¬
tern Stube einiges Geraͤuſch und einige Probe-Toͤ¬
ne machen hoͤrte, ſtand ich auf und gieng mit
meiner aufgewachten Schweſter ans enge Fenſter.
In der ſtillen Nacht hoͤrte man ihren Hinauftritt
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[238/0248] iſt und wenn nicht beide in euch Eine Thraͤne ver¬ einigt! — Du Himmel und Erde, eure jezige Geſtallt iſt ein Bild (wie eine Mutter) einer ſol¬ chen Vereinigung: die in unſer frierendes Au¬ ge troͤſtend hinein blickende Lichtwelt, die Sonne verwandelt den blauen Aether um ſich in eine blaue Nacht, die ſich uͤber dem blitzenden Grund der beſchneiten Erde noch tiefer ſchattiert und der Menſch ſieht ſehnend an ſeinem Himmel eine her¬ uͤber gezogne Nacht und Eine Licht-Ritze, die tie¬ fe Oefnung und Straße gegen hellere Welten hin. . . . Die vergangne Nacht fuͤhrt noch meine Feder. Es iſt naͤmlich in Auenthal wie an vielen Orten Sit¬ te, daß in der letzten feierlichen Nacht des Jahrs auf dem Thurm aus Waldhoͤrnern u. a. gleichſam ein Nachhal der verklungnen Tage oder eine Leichen¬ muſik des umgeſunknen Jahrs ertoͤnt. Als ich mei¬ nen guten Wuz nebſt einigen Gehuͤlfen in der un¬ tern Stube einiges Geraͤuſch und einige Probe-Toͤ¬ ne machen hoͤrte, ſtand ich auf und gieng mit meiner aufgewachten Schweſter ans enge Fenſter. In der ſtillen Nacht hoͤrte man ihren Hinauftritt auf den Thurm. Ueber unſer Fenſter lag jener

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/248>, abgerufen am 28.03.2024.