Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

geniesset an der Natur nicht was man sieht (sonst
genöße der Förster und das Genie draussen einerlei)
sondern was man ans Gesehene andichtet und das
Gefühl für die Natur ist im Grunde die Phantasie
für dieselbe.

In keinem Kopfe aber krystallisiren sich holdere
Traum- und Phantasiegestalten als im Gustavischen.
Seine Gesundheit und sein Glück sind zurückgekom¬
men: das zeigen seine Nächte an, worin die Träu¬
me wie Violen wieder ihre Frühlingskelche ausein¬
ander thun. Ein solcher Edenduft wallet um fol¬
genden Traum:


"Er starb (kam ihm vor) und sollte den Zwi¬
schenraum bis zu seiner neuen Verkörperung in lau¬
ter Träumen verspielen. Er versank in ein schla¬
gendes Blüten-Meer, das der zusammengeflossene
Sternen-Himmel war: auf der Unendlichkeit blüh¬
ten alle Sterne weiß und nachbarliche Blütenblät¬
ter schlugen an einander. Warum berauschte aber
dieses von der Erde bis an den Himmel wachsende
Blumenfeld mit dem rauchenden Geiste von tausend
Kelchen alle Seelen, die darüber flogen und in be¬
täubender Wonne niederfielen, warum mischte ein

genieſſet an der Natur nicht was man ſieht (ſonſt
genoͤße der Foͤrſter und das Genie drauſſen einerlei)
ſondern was man ans Geſehene andichtet und das
Gefuͤhl fuͤr die Natur iſt im Grunde die Phantaſie
fuͤr dieſelbe.

In keinem Kopfe aber kryſtalliſiren ſich holdere
Traum- und Phantaſiegeſtalten als im Guſtaviſchen.
Seine Geſundheit und ſein Gluͤck ſind zuruͤckgekom¬
men: das zeigen ſeine Naͤchte an, worin die Traͤu¬
me wie Violen wieder ihre Fruͤhlingskelche ausein¬
ander thun. Ein ſolcher Edenduft wallet um fol¬
genden Traum:


„Er ſtarb (kam ihm vor) und ſollte den Zwi¬
ſchenraum bis zu ſeiner neuen Verkoͤrperung in lau¬
ter Traͤumen verſpielen. Er verſank in ein ſchla¬
gendes Bluͤten-Meer, das der zuſammengefloſſene
Sternen-Himmel war: auf der Unendlichkeit bluͤh¬
ten alle Sterne weiß und nachbarliche Bluͤtenblaͤt¬
ter ſchlugen an einander. Warum berauſchte aber
dieſes von der Erde bis an den Himmel wachſende
Blumenfeld mit dem rauchenden Geiſte von tauſend
Kelchen alle Seelen, die daruͤber flogen und in be¬
taͤubender Wonne niederfielen, warum miſchte ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0328" n="318"/>
genie&#x017F;&#x017F;et an der Natur nicht was man &#x017F;ieht (&#x017F;on&#x017F;t<lb/>
geno&#x0364;ße der Fo&#x0364;r&#x017F;ter und das Genie drau&#x017F;&#x017F;en einerlei)<lb/>
&#x017F;ondern was man ans Ge&#x017F;ehene andichtet und das<lb/>
Gefu&#x0364;hl fu&#x0364;r die Natur i&#x017F;t im Grunde die Phanta&#x017F;ie<lb/>
fu&#x0364;r die&#x017F;elbe.</p><lb/>
          <p>In keinem Kopfe aber kry&#x017F;talli&#x017F;iren &#x017F;ich holdere<lb/>
Traum- und Phanta&#x017F;iege&#x017F;talten als im Gu&#x017F;tavi&#x017F;chen.<lb/>
Seine Ge&#x017F;undheit und &#x017F;ein Glu&#x0364;ck &#x017F;ind zuru&#x0364;ckgekom¬<lb/>
men: das zeigen &#x017F;eine Na&#x0364;chte an, worin die Tra&#x0364;<lb/>
me wie Violen wieder ihre Fru&#x0364;hlingskelche ausein¬<lb/>
ander thun. Ein &#x017F;olcher Edenduft wallet um fol¬<lb/>
genden Traum:</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>&#x201E;Er &#x017F;tarb (kam ihm vor) und &#x017F;ollte den Zwi¬<lb/>
&#x017F;chenraum bis zu &#x017F;einer neuen Verko&#x0364;rperung in lau¬<lb/>
ter Tra&#x0364;umen ver&#x017F;pielen. Er ver&#x017F;ank in ein &#x017F;chla¬<lb/>
gendes Blu&#x0364;ten-Meer, das der zu&#x017F;ammengeflo&#x017F;&#x017F;ene<lb/>
Sternen-Himmel war: auf der Unendlichkeit blu&#x0364;<lb/>
ten alle Sterne weiß und nachbarliche Blu&#x0364;tenbla&#x0364;<lb/>
ter &#x017F;chlugen an einander. Warum berau&#x017F;chte aber<lb/>
die&#x017F;es von der Erde bis an den Himmel wach&#x017F;ende<lb/>
Blumenfeld mit dem rauchenden Gei&#x017F;te von tau&#x017F;end<lb/>
Kelchen alle Seelen, die daru&#x0364;ber flogen und in be¬<lb/>
ta&#x0364;ubender Wonne niederfielen, warum mi&#x017F;chte ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0328] genieſſet an der Natur nicht was man ſieht (ſonſt genoͤße der Foͤrſter und das Genie drauſſen einerlei) ſondern was man ans Geſehene andichtet und das Gefuͤhl fuͤr die Natur iſt im Grunde die Phantaſie fuͤr dieſelbe. In keinem Kopfe aber kryſtalliſiren ſich holdere Traum- und Phantaſiegeſtalten als im Guſtaviſchen. Seine Geſundheit und ſein Gluͤck ſind zuruͤckgekom¬ men: das zeigen ſeine Naͤchte an, worin die Traͤu¬ me wie Violen wieder ihre Fruͤhlingskelche ausein¬ ander thun. Ein ſolcher Edenduft wallet um fol¬ genden Traum: „Er ſtarb (kam ihm vor) und ſollte den Zwi¬ ſchenraum bis zu ſeiner neuen Verkoͤrperung in lau¬ ter Traͤumen verſpielen. Er verſank in ein ſchla¬ gendes Bluͤten-Meer, das der zuſammengefloſſene Sternen-Himmel war: auf der Unendlichkeit bluͤh¬ ten alle Sterne weiß und nachbarliche Bluͤtenblaͤt¬ ter ſchlugen an einander. Warum berauſchte aber dieſes von der Erde bis an den Himmel wachſende Blumenfeld mit dem rauchenden Geiſte von tauſend Kelchen alle Seelen, die daruͤber flogen und in be¬ taͤubender Wonne niederfielen, warum miſchte ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/328
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/328>, abgerufen am 23.04.2024.