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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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sehenen Tag umkleidest! Magischer Prospektmaler
der künftigen Welt, für die wir brennen und wei¬
nen, wie ein Gestorbner sich verschönet, so ma¬
lest du jene auf unsre irdische, wenn sie mit allen
ihren Blumen und Menschen schläft oder schweigend
dir zusieht! --

Ich gäbe heute die vornehmste Visite darum,
wenn ich eine bei den Klubisten des gestrigen Ta¬
ges machen könnte; es ist aber nicht zu thun: so¬
gar Beata hat heute eine von ihrer Mutter und
mein Auge konnte noch nichts von ihr habhaft wer¬
den als die fünf weissen Finger, womit sie einen
Blumentopf an ihrem Fenster aus dem Schatten
eines Zweigs wegdrehte. O wenn unser altes Le¬
ben und unsre Wandelgänge wieder anheben und
alles wieder beysammenlebt: was soll da die Ge¬
lehrten-Republik nicht zu lesen bekommen!

Heute reich' ich ihr nichts mehr als Beatens
Geleitsbrief an Gustav, weil ich ihn zu mun¬
diren brauche. Ich schlüpfe dann wieder ins Freie,
beschiffe nach der Seekarte meines Kopfes den gestri¬
gen Weg noch einmal und indem ich die verzettel¬
ten botanischen Blumen, die gestern unsre vollen
Hände fallen liessen, als Nachflor auflese, find'

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ſehenen Tag umkleideſt! Magiſcher Proſpektmaler
der kuͤnftigen Welt, fuͤr die wir brennen und wei¬
nen, wie ein Geſtorbner ſich verſchoͤnet, ſo ma¬
leſt du jene auf unſre irdiſche, wenn ſie mit allen
ihren Blumen und Menſchen ſchlaͤft oder ſchweigend
dir zuſieht! —

Ich gaͤbe heute die vornehmſte Viſite darum,
wenn ich eine bei den Klubiſten des geſtrigen Ta¬
ges machen koͤnnte; es iſt aber nicht zu thun: ſo¬
gar Beata hat heute eine von ihrer Mutter und
mein Auge konnte noch nichts von ihr habhaft wer¬
den als die fuͤnf weiſſen Finger, womit ſie einen
Blumentopf an ihrem Fenſter aus dem Schatten
eines Zweigs wegdrehte. O wenn unſer altes Le¬
ben und unſre Wandelgaͤnge wieder anheben und
alles wieder beyſammenlebt: was ſoll da die Ge¬
lehrten-Republik nicht zu leſen bekommen!

Heute reich' ich ihr nichts mehr als Beatens
Geleitsbrief an Guſtav, weil ich ihn zu mun¬
diren brauche. Ich ſchluͤpfe dann wieder ins Freie,
beſchiffe nach der Seekarte meines Kopfes den geſtri¬
gen Weg noch einmal und indem ich die verzettel¬
ten botaniſchen Blumen, die geſtern unſre vollen
Haͤnde fallen lieſſen, als Nachflor aufleſe, find'

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[355/0365] ſehenen Tag umkleideſt! Magiſcher Proſpektmaler der kuͤnftigen Welt, fuͤr die wir brennen und wei¬ nen, wie ein Geſtorbner ſich verſchoͤnet, ſo ma¬ leſt du jene auf unſre irdiſche, wenn ſie mit allen ihren Blumen und Menſchen ſchlaͤft oder ſchweigend dir zuſieht! — Ich gaͤbe heute die vornehmſte Viſite darum, wenn ich eine bei den Klubiſten des geſtrigen Ta¬ ges machen koͤnnte; es iſt aber nicht zu thun: ſo¬ gar Beata hat heute eine von ihrer Mutter und mein Auge konnte noch nichts von ihr habhaft wer¬ den als die fuͤnf weiſſen Finger, womit ſie einen Blumentopf an ihrem Fenſter aus dem Schatten eines Zweigs wegdrehte. O wenn unſer altes Le¬ ben und unſre Wandelgaͤnge wieder anheben und alles wieder beyſammenlebt: was ſoll da die Ge¬ lehrten-Republik nicht zu leſen bekommen! Heute reich' ich ihr nichts mehr als Beatens Geleitsbrief an Guſtav, weil ich ihn zu mun¬ diren brauche. Ich ſchluͤpfe dann wieder ins Freie, beſchiffe nach der Seekarte meines Kopfes den geſtri¬ gen Weg noch einmal und indem ich die verzettel¬ ten botaniſchen Blumen, die geſtern unſre vollen Haͤnde fallen lieſſen, als Nachflor aufleſe, find' Z 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/365>, abgerufen am 25.04.2024.