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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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sre? -- ach wenn der Schöpfer seine Liebe so in
euch wie in uns gelegt hat, so sinkt ihr gewiß auf
diese Erde und tröstet das umstürmte Herz unter
dem Monde, fliegt um die gedrückte Seele, deckt
eure Hand auf die versiegende Wunde und denkt
an die armen Menschen!

Und wenn hienieden ein Geist geht, der euch
einmal gleichen wird, könnt ihr euren Bruder ver¬
gessen? -- Engel der Freude! sei mit meinem und
deinem Freunde, wenn die Sonne kömmt und
lass' ihn schöne fromme Morgen angrünen! Sei
mit Ihm, wenn sie höher geht und wenn ihn die
Arbeit drückt -- o nimm den entfernten Seufzer ei¬
ner Freundin und kühle damit Seinen! Sei mit
ihm wenn die Sonne weicht und richte sein Auge
auf den im weissen Trauergewand aufsteigenden
Mond und auf den weiten Himmel, worin der
Mond und du gehen! --

Engel der Thränen und der Geduld! Du, der
du öfter um den Menschen bist! ach vergesse mein
Herz und mein Auge und lass' sie bluten; -- sie
thun es doch gern -- aber stille wie der Tod, das
Herz und das Auge meines Freundes und zeig' ih¬
nen auf der Erde nichts als den Himmel jenseits

ſre? — ach wenn der Schoͤpfer ſeine Liebe ſo in
euch wie in uns gelegt hat, ſo ſinkt ihr gewiß auf
dieſe Erde und troͤſtet das umſtuͤrmte Herz unter
dem Monde, fliegt um die gedruͤckte Seele, deckt
eure Hand auf die verſiegende Wunde und denkt
an die armen Menſchen!

Und wenn hienieden ein Geiſt geht, der euch
einmal gleichen wird, koͤnnt ihr euren Bruder ver¬
geſſen? — Engel der Freude! ſei mit meinem und
deinem Freunde, wenn die Sonne koͤmmt und
laſſ' ihn ſchoͤne fromme Morgen angruͤnen! Sei
mit Ihm, wenn ſie hoͤher geht und wenn ihn die
Arbeit druͤckt — o nimm den entfernten Seufzer ei¬
ner Freundin und kuͤhle damit Seinen! Sei mit
ihm wenn die Sonne weicht und richte ſein Auge
auf den im weiſſen Trauergewand aufſteigenden
Mond und auf den weiten Himmel, worin der
Mond und du gehen! —

Engel der Thraͤnen und der Geduld! Du, der
du oͤfter um den Menſchen biſt! ach vergeſſe mein
Herz und mein Auge und laſſ' ſie bluten; — ſie
thun es doch gern — aber ſtille wie der Tod, das
Herz und das Auge meines Freundes und zeig' ih¬
nen auf der Erde nichts als den Himmel jenſeits

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[357/0367] ſre? — ach wenn der Schoͤpfer ſeine Liebe ſo in euch wie in uns gelegt hat, ſo ſinkt ihr gewiß auf dieſe Erde und troͤſtet das umſtuͤrmte Herz unter dem Monde, fliegt um die gedruͤckte Seele, deckt eure Hand auf die verſiegende Wunde und denkt an die armen Menſchen! Und wenn hienieden ein Geiſt geht, der euch einmal gleichen wird, koͤnnt ihr euren Bruder ver¬ geſſen? — Engel der Freude! ſei mit meinem und deinem Freunde, wenn die Sonne koͤmmt und laſſ' ihn ſchoͤne fromme Morgen angruͤnen! Sei mit Ihm, wenn ſie hoͤher geht und wenn ihn die Arbeit druͤckt — o nimm den entfernten Seufzer ei¬ ner Freundin und kuͤhle damit Seinen! Sei mit ihm wenn die Sonne weicht und richte ſein Auge auf den im weiſſen Trauergewand aufſteigenden Mond und auf den weiten Himmel, worin der Mond und du gehen! — Engel der Thraͤnen und der Geduld! Du, der du oͤfter um den Menſchen biſt! ach vergeſſe mein Herz und mein Auge und laſſ' ſie bluten; — ſie thun es doch gern — aber ſtille wie der Tod, das Herz und das Auge meines Freundes und zeig' ih¬ nen auf der Erde nichts als den Himmel jenſeits

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/367>, abgerufen am 28.03.2024.