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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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als zehnmal sterben. Bei jedem Vogel, den sie
aus dem Bette jagten, dacht' er, wie wirst du
im finstern dein Aestgen wieder finden -- bei jedem
zerfließenden Licht, das weit von ihm durch die
Nacht wandelte, dacht' er, welchen Seufzern,
welchen sauern Schritten wird es jezt den langwei¬
ligen Steig beleuchten und es war ihm als säh' er
das menschliche Leben gehen. Es macht' ihn nicht
fröhlicher, als er einige Sonnenwägen, von ei¬
nem Sonnenhof aus Fackeln umlegt, die unnützen
Gäste des Souper, das sie wie er jezt verließen, so
fliegend heimrollen sah als führen sie einem ster¬
benden Freunde entgegen. Endlich wickelte sich die
schlummernde Stadt aus den Schatten heraus; das
Pharuslicht des Thürmers und einige weit ausein¬
ander gesäete Lichter, die wahrscheinlich die lange
lange Nacht eines Kranken trübe und ungeputzt
abmaßen, fielen auf den Trauer-Grund seines
Innern:

Leise pochten sie am Krankenhause, leise wur¬
de aufgemacht, leise stieg er hinauf: bloß die Uhr
lärmte, wie ein Trauergeläute ins stumme Trau¬
erhaus, mit ihren zwölf Schlägen, die er da so
oft gehört. -- Ach im Bett litt eine Gestallt, der

als zehnmal ſterben. Bei jedem Vogel, den ſie
aus dem Bette jagten, dacht' er, wie wirſt du
im finſtern dein Aeſtgen wieder finden — bei jedem
zerfließenden Licht, das weit von ihm durch die
Nacht wandelte, dacht' er, welchen Seufzern,
welchen ſauern Schritten wird es jezt den langwei¬
ligen Steig beleuchten und es war ihm als ſaͤh' er
das menſchliche Leben gehen. Es macht' ihn nicht
froͤhlicher, als er einige Sonnenwaͤgen, von ei¬
nem Sonnenhof aus Fackeln umlegt, die unnuͤtzen
Gaͤſte des Souper, das ſie wie er jezt verließen, ſo
fliegend heimrollen ſah als fuͤhren ſie einem ſter¬
benden Freunde entgegen. Endlich wickelte ſich die
ſchlummernde Stadt aus den Schatten heraus; das
Pharuslicht des Thuͤrmers und einige weit ausein¬
ander geſaͤete Lichter, die wahrſcheinlich die lange
lange Nacht eines Kranken truͤbe und ungeputzt
abmaßen, fielen auf den Trauer-Grund ſeines
Innern:

Leiſe pochten ſie am Krankenhauſe, leiſe wur¬
de aufgemacht, leiſe ſtieg er hinauf: bloß die Uhr
laͤrmte, wie ein Trauergelaͤute ins ſtumme Trau¬
erhaus, mit ihren zwoͤlf Schlaͤgen, die er da ſo
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[84/0094] als zehnmal ſterben. Bei jedem Vogel, den ſie aus dem Bette jagten, dacht' er, wie wirſt du im finſtern dein Aeſtgen wieder finden — bei jedem zerfließenden Licht, das weit von ihm durch die Nacht wandelte, dacht' er, welchen Seufzern, welchen ſauern Schritten wird es jezt den langwei¬ ligen Steig beleuchten und es war ihm als ſaͤh' er das menſchliche Leben gehen. Es macht' ihn nicht froͤhlicher, als er einige Sonnenwaͤgen, von ei¬ nem Sonnenhof aus Fackeln umlegt, die unnuͤtzen Gaͤſte des Souper, das ſie wie er jezt verließen, ſo fliegend heimrollen ſah als fuͤhren ſie einem ſter¬ benden Freunde entgegen. Endlich wickelte ſich die ſchlummernde Stadt aus den Schatten heraus; das Pharuslicht des Thuͤrmers und einige weit ausein¬ ander geſaͤete Lichter, die wahrſcheinlich die lange lange Nacht eines Kranken truͤbe und ungeputzt abmaßen, fielen auf den Trauer-Grund ſeines Innern: Leiſe pochten ſie am Krankenhauſe, leiſe wur¬ de aufgemacht, leiſe ſtieg er hinauf: bloß die Uhr laͤrmte, wie ein Trauergelaͤute ins ſtumme Trau¬ erhaus, mit ihren zwoͤlf Schlaͤgen, die er da ſo oft gehoͤrt. — Ach im Bett litt eine Geſtallt, der

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/94>, abgerufen am 23.04.2024.