Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

men -- es war sein erster unordentlicher Tag --
komisch wars, wie sich der sonst so unbändige,
aber einer langen Gewohnheit täglicher An¬
strengungen dienstbare Jüngling gegen die kurze
Meerstille, worin er keine Schiffe trieb, wie ge¬
gen eine Sünde sträubte.

Indessen wars himmlisch; der tiefliegende
Kindertag, der ihn sonst beflügelte, wenn das
Haus voll Gäste war und er -- wo er nur
wollte, kam wieder herauf; die Gespräche spiel¬
ten und beschenkten mit allem, was uns hebt
und bereichert; alle Kräfte waren ohne Ketten
und im trunknen Tanz. Genialische Menschen
haben so viele Festtage als andere Werkeltage
und daher ertragen jene so schwer einen Trivial-
und Schlendrians-Schalttag -- und vollends
an solchen Jünglingstagen! -- Wenn ihm Karl
tragische Gewitterwolken aus Shakespear, Göthe,
Klinger, Schiller vorführte und sich das Leben
kolossalisch im dichterischen Vergrößerungsspie¬
gel beschauete: so standen alle schlafenden Rie¬
sen seines Innern auf, sein Vater kam und seine
Zukunft, selber sein Freund stand neu wie aus
jener glänzenden phantastischen Kinderzeit her¬

Titan II. B

men — es war ſein erſter unordentlicher Tag —
komiſch wars, wie ſich der ſonſt ſo unbändige,
aber einer langen Gewohnheit täglicher An¬
ſtrengungen dienſtbare Jüngling gegen die kurze
Meerſtille, worin er keine Schiffe trieb, wie ge¬
gen eine Sünde ſträubte.

Indeſſen wars himmliſch; der tiefliegende
Kindertag, der ihn ſonſt beflügelte, wenn das
Haus voll Gäſte war und er — wo er nur
wollte, kam wieder herauf; die Geſpräche ſpiel¬
ten und beſchenkten mit allem, was uns hebt
und bereichert; alle Kräfte waren ohne Ketten
und im trunknen Tanz. Genialiſche Menſchen
haben ſo viele Feſttage als andere Werkeltage
und daher ertragen jene ſo ſchwer einen Trivial-
und Schlendrians-Schalttag — und vollends
an ſolchen Jünglingstagen! — Wenn ihm Karl
tragiſche Gewitterwolken aus Shakeſpear, Göthe,
Klinger, Schiller vorführte und ſich das Leben
koloſſaliſch im dichteriſchen Vergrößerungsſpie¬
gel beſchauete: ſo ſtanden alle ſchlafenden Rie¬
ſen ſeines Innern auf, ſein Vater kam und ſeine
Zukunft, ſelber ſein Freund ſtand neu wie aus
jener glänzenden phantaſtiſchen Kinderzeit her¬

Titan II. B
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0025" n="17"/>
men &#x2014; es war &#x017F;ein er&#x017F;ter unordentlicher Tag &#x2014;<lb/>
komi&#x017F;ch wars, wie &#x017F;ich der &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o unbändige,<lb/>
aber einer langen Gewohnheit täglicher An¬<lb/>
&#x017F;trengungen dien&#x017F;tbare Jüngling gegen die kurze<lb/>
Meer&#x017F;tille, worin er keine Schiffe trieb, wie ge¬<lb/>
gen eine Sünde &#x017F;träubte.</p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;&#x017F;en wars himmli&#x017F;ch; der tiefliegende<lb/>
Kindertag, der ihn &#x017F;on&#x017F;t beflügelte, wenn das<lb/>
Haus voll Gä&#x017F;te war und er &#x2014; wo er nur<lb/>
wollte, kam wieder herauf; die Ge&#x017F;präche &#x017F;piel¬<lb/>
ten und be&#x017F;chenkten mit allem, was uns hebt<lb/>
und bereichert; alle Kräfte waren ohne Ketten<lb/>
und im trunknen Tanz. Geniali&#x017F;che Men&#x017F;chen<lb/>
haben &#x017F;o viele Fe&#x017F;ttage als andere Werkeltage<lb/>
und daher ertragen jene &#x017F;o &#x017F;chwer einen Trivial-<lb/>
und Schlendrians-Schalttag &#x2014; und vollends<lb/>
an &#x017F;olchen Jünglingstagen! &#x2014; Wenn ihm Karl<lb/>
tragi&#x017F;che Gewitterwolken aus Shake&#x017F;pear, Göthe,<lb/>
Klinger, Schiller vorführte und &#x017F;ich das Leben<lb/>
kolo&#x017F;&#x017F;ali&#x017F;ch im dichteri&#x017F;chen Vergrößerungs&#x017F;pie¬<lb/>
gel be&#x017F;chauete: &#x017F;o &#x017F;tanden alle &#x017F;chlafenden Rie¬<lb/>
&#x017F;en &#x017F;eines Innern auf, &#x017F;ein Vater kam und &#x017F;eine<lb/>
Zukunft, &#x017F;elber &#x017F;ein Freund &#x017F;tand neu wie aus<lb/>
jener glänzenden phanta&#x017F;ti&#x017F;chen Kinderzeit her¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Titan <hi rendition="#aq">II</hi>. B<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0025] men — es war ſein erſter unordentlicher Tag — komiſch wars, wie ſich der ſonſt ſo unbändige, aber einer langen Gewohnheit täglicher An¬ ſtrengungen dienſtbare Jüngling gegen die kurze Meerſtille, worin er keine Schiffe trieb, wie ge¬ gen eine Sünde ſträubte. Indeſſen wars himmliſch; der tiefliegende Kindertag, der ihn ſonſt beflügelte, wenn das Haus voll Gäſte war und er — wo er nur wollte, kam wieder herauf; die Geſpräche ſpiel¬ ten und beſchenkten mit allem, was uns hebt und bereichert; alle Kräfte waren ohne Ketten und im trunknen Tanz. Genialiſche Menſchen haben ſo viele Feſttage als andere Werkeltage und daher ertragen jene ſo ſchwer einen Trivial- und Schlendrians-Schalttag — und vollends an ſolchen Jünglingstagen! — Wenn ihm Karl tragiſche Gewitterwolken aus Shakeſpear, Göthe, Klinger, Schiller vorführte und ſich das Leben koloſſaliſch im dichteriſchen Vergrößerungsſpie¬ gel beſchauete: ſo ſtanden alle ſchlafenden Rie¬ ſen ſeines Innern auf, ſein Vater kam und ſeine Zukunft, ſelber ſein Freund ſtand neu wie aus jener glänzenden phantaſtiſchen Kinderzeit her¬ Titan II. B

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/25
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/25>, abgerufen am 18.04.2024.