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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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Aber diese und die Lindenbergerin waren
auch die einzigen mit denen er von Herzen hat
gut seyn können.

Es freute ihn frey als die lezte kam; sie hub
kein Aug vom Boden und sagte kein Wort zu
ihrer Entschuldigung, da sie ihm zu erst ant-
wortete.

Der Junker sagte zu ihr, Kind! Warum
hast du nichts zu deiner Entschuldigung, warum
du da bist?

Auf dieses Wort sah sie den Junker das er-
stemal an, aber redete nicht.

Nun wenn du es nicht sagen darfst, so will
ich es sagen; ich weiß es, Euere Haushaltung
hat sich bis auf den lezten Herbst aller Wirths-
hausschulden hüten können, und wenn deine
Mutter nicht einen so elenden Winter gehabt
hätte, so wäret ihr auch keinen Heller schuldig.

So entschlug der gerechte Landesvater vor
allem Volk diß gute Kind seiner Schande hal-
ber. Aber es that den 120zigen wehe zuhö-
ren, daß eines besser unter ihnen als sie alle,
und es war kein Krüppel an Leib und Seele
unter der Linde, der nicht zu sich selber sagte,
ja, -- wenn er wüßte wie ichs gehabt hätte,
er würde gewiß das und noch mehr auch zu
mir sagen.

Die Lindenbergerin antwortete ihm, ich
danke Gott, daß ihr wisset, wie wirs gehabt
haben.


Aber dieſe und die Lindenbergerin waren
auch die einzigen mit denen er von Herzen hat
gut ſeyn koͤnnen.

Es freute ihn frey als die lezte kam; ſie hub
kein Aug vom Boden und ſagte kein Wort zu
ihrer Entſchuldigung, da ſie ihm zu erſt ant-
wortete.

Der Junker ſagte zu ihr, Kind! Warum
haſt du nichts zu deiner Entſchuldigung, warum
du da biſt?

Auf dieſes Wort ſah ſie den Junker das er-
ſtemal an, aber redete nicht.

Nun wenn du es nicht ſagen darfſt, ſo will
ich es ſagen; ich weiß es, Euere Haushaltung
hat ſich bis auf den lezten Herbſt aller Wirths-
hausſchulden huͤten koͤnnen, und wenn deine
Mutter nicht einen ſo elenden Winter gehabt
haͤtte, ſo waͤret ihr auch keinen Heller ſchuldig.

So entſchlug der gerechte Landesvater vor
allem Volk diß gute Kind ſeiner Schande hal-
ber. Aber es that den 120zigen wehe zuhoͤ-
ren, daß eines beſſer unter ihnen als ſie alle,
und es war kein Kruͤppel an Leib und Seele
unter der Linde, der nicht zu ſich ſelber ſagte,
ja, — wenn er wuͤßte wie ichs gehabt haͤtte,
er wuͤrde gewiß das und noch mehr auch zu
mir ſagen.

Die Lindenbergerin antwortete ihm, ich
danke Gott, daß ihr wiſſet, wie wirs gehabt
haben.


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[174/0196] Aber dieſe und die Lindenbergerin waren auch die einzigen mit denen er von Herzen hat gut ſeyn koͤnnen. Es freute ihn frey als die lezte kam; ſie hub kein Aug vom Boden und ſagte kein Wort zu ihrer Entſchuldigung, da ſie ihm zu erſt ant- wortete. Der Junker ſagte zu ihr, Kind! Warum haſt du nichts zu deiner Entſchuldigung, warum du da biſt? Auf dieſes Wort ſah ſie den Junker das er- ſtemal an, aber redete nicht. Nun wenn du es nicht ſagen darfſt, ſo will ich es ſagen; ich weiß es, Euere Haushaltung hat ſich bis auf den lezten Herbſt aller Wirths- hausſchulden huͤten koͤnnen, und wenn deine Mutter nicht einen ſo elenden Winter gehabt haͤtte, ſo waͤret ihr auch keinen Heller ſchuldig. So entſchlug der gerechte Landesvater vor allem Volk diß gute Kind ſeiner Schande hal- ber. Aber es that den 120zigen wehe zuhoͤ- ren, daß eines beſſer unter ihnen als ſie alle, und es war kein Kruͤppel an Leib und Seele unter der Linde, der nicht zu ſich ſelber ſagte, ja, — wenn er wuͤßte wie ichs gehabt haͤtte, er wuͤrde gewiß das und noch mehr auch zu mir ſagen. Die Lindenbergerin antwortete ihm, ich danke Gott, daß ihr wiſſet, wie wirs gehabt haben.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/196>, abgerufen am 29.03.2024.