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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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dachten in dieser Nacht an diesen neuen Va-
ter, träumten von ihm, und ihr. Alle die
von des Rudis und der Gertrud Kindern gehört,
daß sie am Abend und am Morgen für ihn,
wie für Vater und Mutter beten, baten ihre
Eltern, eh sie ins Bett giengen, ob sie nicht
auch so für ihn beten dörfen? Es schlugs ih-
nen endlich niemand ab, ob es schon vielen
Leuthen wunderlich vorkam.

Selbst der Kriecher murrete nur, als ihm
seine Lise es auch sagte, und antwortete doch,
du kannst meinetwegen thun was du willst! --
Aber da es mit seinen Geschwisterten über-
nacht betete, und in voller Freude, mit lau-
ter Stimme anhub "behüt mir Gott mein
lieber Junker, und mein lieber" -- lag es
bey diesem Wort am Boden, und blutete aus
Maul und Nase.

Der Vater hinter ihm gab ihm mit den
Schuhen so einen Stoß, daß es mit samt
dem Stuhl, auf dem es saß, umfiel.

Was hab ich auch gemacht? Was hab ich
auch gemacht? sagte das Kind schluchzend
durch die Finger; denn es hielt beyde Hände
vor dem blutenden Maul und der blutenden
Nase.

Du weissest jezt ein andermal, sagte der Va-
ter, für wenn du zuerst beten mußt, für mich,

S

dachten in dieſer Nacht an dieſen neuen Va-
ter, traͤumten von ihm, und ihr. Alle die
von des Rudis und der Gertrud Kindern gehoͤrt,
daß ſie am Abend und am Morgen fuͤr ihn,
wie fuͤr Vater und Mutter beten, baten ihre
Eltern, eh ſie ins Bett giengen, ob ſie nicht
auch ſo fuͤr ihn beten doͤrfen? Es ſchlugs ih-
nen endlich niemand ab, ob es ſchon vielen
Leuthen wunderlich vorkam.

Selbſt der Kriecher murrete nur, als ihm
ſeine Liſe es auch ſagte, und antwortete doch,
du kannſt meinetwegen thun was du willſt! —
Aber da es mit ſeinen Geſchwiſterten uͤber-
nacht betete, und in voller Freude, mit lau-
ter Stimme anhub „behuͤt mir Gott mein
lieber Junker, und mein lieber“ — lag es
bey dieſem Wort am Boden, und blutete aus
Maul und Naſe.

Der Vater hinter ihm gab ihm mit den
Schuhen ſo einen Stoß, daß es mit ſamt
dem Stuhl, auf dem es ſaß, umfiel.

Was hab ich auch gemacht? Was hab ich
auch gemacht? ſagte das Kind ſchluchzend
durch die Finger; denn es hielt beyde Haͤnde
vor dem blutenden Maul und der blutenden
Naſe.

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ter, fuͤr wenn du zuerſt beten mußt, fuͤr mich,

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[273/0295] dachten in dieſer Nacht an dieſen neuen Va- ter, traͤumten von ihm, und ihr. Alle die von des Rudis und der Gertrud Kindern gehoͤrt, daß ſie am Abend und am Morgen fuͤr ihn, wie fuͤr Vater und Mutter beten, baten ihre Eltern, eh ſie ins Bett giengen, ob ſie nicht auch ſo fuͤr ihn beten doͤrfen? Es ſchlugs ih- nen endlich niemand ab, ob es ſchon vielen Leuthen wunderlich vorkam. Selbſt der Kriecher murrete nur, als ihm ſeine Liſe es auch ſagte, und antwortete doch, du kannſt meinetwegen thun was du willſt! — Aber da es mit ſeinen Geſchwiſterten uͤber- nacht betete, und in voller Freude, mit lau- ter Stimme anhub „behuͤt mir Gott mein lieber Junker, und mein lieber“ — lag es bey dieſem Wort am Boden, und blutete aus Maul und Naſe. Der Vater hinter ihm gab ihm mit den Schuhen ſo einen Stoß, daß es mit ſamt dem Stuhl, auf dem es ſaß, umfiel. Was hab ich auch gemacht? Was hab ich auch gemacht? ſagte das Kind ſchluchzend durch die Finger; denn es hielt beyde Haͤnde vor dem blutenden Maul und der blutenden Naſe. Du weiſſeſt jezt ein andermal, ſagte der Va- ter, fuͤr wenn du zuerſt beten mußt, fuͤr mich, S

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/295>, abgerufen am 28.03.2024.