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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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Aber er kannte sie nicht, daß er mit ihnen
eintretten, und etwas mit ihnen richten und
schlichten konnte. --

Auch sagte ihm der Lieutenant oft unter die
Augen, er seye nicht im Stand, etwas rechtes
aus den Menschen zu machen, er verderbe sie
nur mit seiner Güte! Denn so gut ihr den
Lieutenant allenthalben erfahren, so hatte doch
nicht leicht jemand strengere Grundsäze über
das Auferziehen als er.

Er behauptete laut, die Liebe sey zum auf-
erziehen der Menschen nichts nuz als nur hin-
ten und neben der Forcht; denn sie müssen lehr-
nen Dornen und Disteln ausreuten, und der
Mensch thue das nie gern und nie von ihm
selber, sondern nur weil er müsse, und wenn
er daran gewöhnt werde. Wer immer etwas
mit den Menschen ausrichten, oder sie zu et-
was machen will, sagte er, der muß ihre Bos-
heit bemeistern, ihre Falschheit verfolgen, und
ihnen auf ihren krummen Wegen den Angst-
schweis austreiben, -- und behauptete das
Erziehen der Menschen seye nichts anders als
das Ausfeilen des einzeln Glieds an der grossen
Kette, durch welche die ganze Menschheit un-
ter sich verbunden, ein Ganzes ausmache, und
die Fehler in der Erziehung und Führung des
Menschen bestehen meistens darin, daß man
einzelne Glieder wie von der Kette abnehme,

Aber er kannte ſie nicht, daß er mit ihnen
eintretten, und etwas mit ihnen richten und
ſchlichten konnte. —

Auch ſagte ihm der Lieutenant oft unter die
Augen, er ſeye nicht im Stand, etwas rechtes
aus den Menſchen zu machen, er verderbe ſie
nur mit ſeiner Guͤte! Denn ſo gut ihr den
Lieutenant allenthalben erfahren, ſo hatte doch
nicht leicht jemand ſtrengere Grundſaͤze uͤber
das Auferziehen als er.

Er behauptete laut, die Liebe ſey zum auf-
erziehen der Menſchen nichts nuz als nur hin-
ten und neben der Forcht; denn ſie muͤſſen lehr-
nen Dornen und Diſteln ausreuten, und der
Menſch thue das nie gern und nie von ihm
ſelber, ſondern nur weil er muͤſſe, und wenn
er daran gewoͤhnt werde. Wer immer etwas
mit den Menſchen ausrichten, oder ſie zu et-
was machen will, ſagte er, der muß ihre Bos-
heit bemeiſtern, ihre Falſchheit verfolgen, und
ihnen auf ihren krummen Wegen den Angſt-
ſchweis austreiben, — und behauptete das
Erziehen der Menſchen ſeye nichts anders als
das Ausfeilen des einzeln Glieds an der groſſen
Kette, durch welche die ganze Menſchheit un-
ter ſich verbunden, ein Ganzes ausmache, und
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[302/0324] Aber er kannte ſie nicht, daß er mit ihnen eintretten, und etwas mit ihnen richten und ſchlichten konnte. — Auch ſagte ihm der Lieutenant oft unter die Augen, er ſeye nicht im Stand, etwas rechtes aus den Menſchen zu machen, er verderbe ſie nur mit ſeiner Guͤte! Denn ſo gut ihr den Lieutenant allenthalben erfahren, ſo hatte doch nicht leicht jemand ſtrengere Grundſaͤze uͤber das Auferziehen als er. Er behauptete laut, die Liebe ſey zum auf- erziehen der Menſchen nichts nuz als nur hin- ten und neben der Forcht; denn ſie muͤſſen lehr- nen Dornen und Diſteln ausreuten, und der Menſch thue das nie gern und nie von ihm ſelber, ſondern nur weil er muͤſſe, und wenn er daran gewoͤhnt werde. Wer immer etwas mit den Menſchen ausrichten, oder ſie zu et- was machen will, ſagte er, der muß ihre Bos- heit bemeiſtern, ihre Falſchheit verfolgen, und ihnen auf ihren krummen Wegen den Angſt- ſchweis austreiben, — und behauptete das Erziehen der Menſchen ſeye nichts anders als das Ausfeilen des einzeln Glieds an der groſſen Kette, durch welche die ganze Menſchheit un- ter ſich verbunden, ein Ganzes ausmache, und die Fehler in der Erziehung und Fuͤhrung des Menſchen beſtehen meiſtens darin, daß man einzelne Glieder wie von der Kette abnehme,

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/324>, abgerufen am 25.04.2024.