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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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und an ihnen künsteln wolle, wie wenn sie allein
wären, und nicht als Ringe an die grosse Kette
gehören, und als wenn die Kraft und Brauch-
barkeit des einzeln Glieds derselben daher kä-
me, wenn man ihns vergulden, versilbern,
oder gar mit Edelsteinen besezen würde, und
nicht daher, daß es ungeschwächt an seine näch-
ste Nebenglieder wohl angeschlossen zu dem
täglichen Schwung der ganzen Kette und zu
allen Biegungen derselben stark und gelenkig
genug gearbeitet seye.

So redte der Mann, dessen Stärke darinn
bestuhnd, daß er die Welt kannte, mit dem
Priester, dessen Schwäche darinn bestuhnd,
daß er sie nicht kannte.

Es war aber auch die Arbeit seines Lebens,
die Menschen kennen zu lehrnen, und er dan-
ket es seinem Vater unter dem Boden, daß er
dieses von früher Jugend auf, zu seinem Au-
genmerk gemacht. Er glaubte auch die Men-
schen gut, die er hinten nach böse erfahren,
und der Gram darüber brachte ihn ums Leben.

Wenige Tage vor seinem End ließ er seinen
damals eilfjährigen Glüphi vor sein Beth kom-
men, und sagte ihm: Kind! trau niemand
in deinem Leben, bis du ihn erfahren.

Die Menschen betriegen, und werden be-
trogen, aber sie zu kennen ist Gold werth.

Gieb auf sie Acht, aber trau ihnen nicht,

und an ihnen kuͤnſteln wolle, wie wenn ſie allein
waͤren, und nicht als Ringe an die groſſe Kette
gehoͤren, und als wenn die Kraft und Brauch-
barkeit des einzeln Glieds derſelben daher kaͤ-
me, wenn man ihns vergulden, verſilbern,
oder gar mit Edelſteinen beſezen wuͤrde, und
nicht daher, daß es ungeſchwaͤcht an ſeine naͤch-
ſte Nebenglieder wohl angeſchloſſen zu dem
taͤglichen Schwung der ganzen Kette und zu
allen Biegungen derſelben ſtark und gelenkig
genug gearbeitet ſeye.

So redte der Mann, deſſen Staͤrke darinn
beſtuhnd, daß er die Welt kannte, mit dem
Prieſter, deſſen Schwaͤche darinn beſtuhnd,
daß er ſie nicht kannte.

Es war aber auch die Arbeit ſeines Lebens,
die Menſchen kennen zu lehrnen, und er dan-
ket es ſeinem Vater unter dem Boden, daß er
dieſes von fruͤher Jugend auf, zu ſeinem Au-
genmerk gemacht. Er glaubte auch die Men-
ſchen gut, die er hinten nach boͤſe erfahren,
und der Gram daruͤber brachte ihn ums Leben.

Wenige Tage vor ſeinem End ließ er ſeinen
damals eilfjaͤhrigen Gluͤphi vor ſein Beth kom-
men, und ſagte ihm: Kind! trau niemand
in deinem Leben, bis du ihn erfahren.

Die Menſchen betriegen, und werden be-
trogen, aber ſie zu kennen iſt Gold werth.

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[303/0325] und an ihnen kuͤnſteln wolle, wie wenn ſie allein waͤren, und nicht als Ringe an die groſſe Kette gehoͤren, und als wenn die Kraft und Brauch- barkeit des einzeln Glieds derſelben daher kaͤ- me, wenn man ihns vergulden, verſilbern, oder gar mit Edelſteinen beſezen wuͤrde, und nicht daher, daß es ungeſchwaͤcht an ſeine naͤch- ſte Nebenglieder wohl angeſchloſſen zu dem taͤglichen Schwung der ganzen Kette und zu allen Biegungen derſelben ſtark und gelenkig genug gearbeitet ſeye. So redte der Mann, deſſen Staͤrke darinn beſtuhnd, daß er die Welt kannte, mit dem Prieſter, deſſen Schwaͤche darinn beſtuhnd, daß er ſie nicht kannte. Es war aber auch die Arbeit ſeines Lebens, die Menſchen kennen zu lehrnen, und er dan- ket es ſeinem Vater unter dem Boden, daß er dieſes von fruͤher Jugend auf, zu ſeinem Au- genmerk gemacht. Er glaubte auch die Men- ſchen gut, die er hinten nach boͤſe erfahren, und der Gram daruͤber brachte ihn ums Leben. Wenige Tage vor ſeinem End ließ er ſeinen damals eilfjaͤhrigen Gluͤphi vor ſein Beth kom- men, und ſagte ihm: Kind! trau niemand in deinem Leben, bis du ihn erfahren. Die Menſchen betriegen, und werden be- trogen, aber ſie zu kennen iſt Gold werth. Gieb auf ſie Acht, aber trau ihnen nicht,

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/325>, abgerufen am 24.04.2024.