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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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her? auf einmal die wunderlichsten Gerüchte
über diesen Mann.

Man sagte sich im ganzen Dorfe die schand-
barsten, unflätigsten Dinge über ihn ins Ohr,
schonte weder der Frauen unter dem Boden,
noch der unmündigen Kinder. Ich darf nicht
ins Maul nehmen, was man alles sagte, und
erzähle das einige davon. Man sagte über die
Frau selig, ihre Gichter seyen, behüt uns Gott
davor! eine Art Weh gewesen, das den Kin-
dern selber noch im Blut steken könne; und das
Liseli mache in Gottsnamen Augen, daß man
so etwas förchten müsse, wenn man ihns nur
anschaue. Der Teufel hätte nichts erfinden
können, das schlauer ausgedacht gewesen, den
guten Rudj in seinen halben Hoffnungen zu
prellen.

Es erschütterte die Meyerin, da es ihr zu
Ohren kam, durch und durch, und wenn sie
nur eine Viertelstund gewartet, daß der Schre-
ken sich sezen, und ihr Ekel Fuß greifen können,
so wäre der Untervögtin ihr Absehen wie gewiß
wenigstens so weit gerathen, daß sie den Rudj
auch nicht mehr hätte heurathen können, wenn
sie hinten nach schon zehn mal vernommen,
daß an allem nichts wahr wäre.

Aber sie sprang in allem Feuer auf das erste
Wort, das sie hörte, zur Gertrud. Sie redete
mit einer Heftigkeit, die dem Ekel, den sie sicher

Z 3

her? auf einmal die wunderlichſten Geruͤchte
uͤber dieſen Mann.

Man ſagte ſich im ganzen Dorfe die ſchand-
barſten, unflaͤtigſten Dinge uͤber ihn ins Ohr,
ſchonte weder der Frauen unter dem Boden,
noch der unmuͤndigen Kinder. Ich darf nicht
ins Maul nehmen, was man alles ſagte, und
erzaͤhle das einige davon. Man ſagte uͤber die
Frau ſelig, ihre Gichter ſeyen, behuͤt uns Gott
davor! eine Art Weh geweſen, das den Kin-
dern ſelber noch im Blut ſteken koͤnne; und das
Liſeli mache in Gottsnamen Augen, daß man
ſo etwas foͤrchten muͤſſe, wenn man ihns nur
anſchaue. Der Teufel haͤtte nichts erfinden
koͤnnen, das ſchlauer ausgedacht geweſen, den
guten Rudj in ſeinen halben Hoffnungen zu
prellen.

Es erſchuͤtterte die Meyerin, da es ihr zu
Ohren kam, durch und durch, und wenn ſie
nur eine Viertelſtund gewartet, daß der Schre-
ken ſich ſezen, und ihr Ekel Fuß greifen koͤnnen,
ſo waͤre der Untervoͤgtin ihr Abſehen wie gewiß
wenigſtens ſo weit gerathen, daß ſie den Rudj
auch nicht mehr haͤtte heurathen koͤnnen, wenn
ſie hinten nach ſchon zehn mal vernommen,
daß an allem nichts wahr waͤre.

Aber ſie ſprang in allem Feuer auf das erſte
Wort, das ſie hoͤrte, zur Gertrud. Sie redete
mit einer Heftigkeit, die dem Ekel, den ſie ſicher

Z 3
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[357/0379] her? auf einmal die wunderlichſten Geruͤchte uͤber dieſen Mann. Man ſagte ſich im ganzen Dorfe die ſchand- barſten, unflaͤtigſten Dinge uͤber ihn ins Ohr, ſchonte weder der Frauen unter dem Boden, noch der unmuͤndigen Kinder. Ich darf nicht ins Maul nehmen, was man alles ſagte, und erzaͤhle das einige davon. Man ſagte uͤber die Frau ſelig, ihre Gichter ſeyen, behuͤt uns Gott davor! eine Art Weh geweſen, das den Kin- dern ſelber noch im Blut ſteken koͤnne; und das Liſeli mache in Gottsnamen Augen, daß man ſo etwas foͤrchten muͤſſe, wenn man ihns nur anſchaue. Der Teufel haͤtte nichts erfinden koͤnnen, das ſchlauer ausgedacht geweſen, den guten Rudj in ſeinen halben Hoffnungen zu prellen. Es erſchuͤtterte die Meyerin, da es ihr zu Ohren kam, durch und durch, und wenn ſie nur eine Viertelſtund gewartet, daß der Schre- ken ſich ſezen, und ihr Ekel Fuß greifen koͤnnen, ſo waͤre der Untervoͤgtin ihr Abſehen wie gewiß wenigſtens ſo weit gerathen, daß ſie den Rudj auch nicht mehr haͤtte heurathen koͤnnen, wenn ſie hinten nach ſchon zehn mal vernommen, daß an allem nichts wahr waͤre. Aber ſie ſprang in allem Feuer auf das erſte Wort, das ſie hoͤrte, zur Gertrud. Sie redete mit einer Heftigkeit, die dem Ekel, den ſie ſicher Z 3

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/379>, abgerufen am 25.04.2024.