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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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Ich erliege unter der Last unausdrukbarer
Dinge, die im Ganzen meines Traums vor mir
stehen.

Es glich ihr Klagblik im erlöschenden Aug --
dem Blik des sterbenden Lamms, das unter den
Händen des Würgers verblutet. --

Nein! er glich nicht einem blutenden Thier, --
er glich -- ich kan nicht sagen was, -- könnte ichs,
man würde nicht mehr Abgötterey treiben mit
Gott -- und den Menschen thun lassen, was
seine Sach ist.

Ihr Blik durchschnitt dem Pfarrer das Herz,
und der Gedanke, sie ist das Opfer der Thorheit.
Die Lehre von Gott, den Menschen wie ein
Messer an Hals zu sezen, machte ihn zittern. Er
fühlte das Elend der Menschen, die an diesem
Messer verbluten, und nicht minder die Gefahr
derjenigen, die ihm entfliehen.

Es legte ihn ungeschlafen, und noch morndes
stuhnd ihr Bild vor ihm, also daß er an diesem
Morgen beynahe unvernünftig predigte, denn
er redte über etwas ganz anders, und wußte die
halbe Zeit nicht was er sagte.

Zu Mittag hingegen hatte er seine Sinnen
wieder bey einander, denn er redte da nur von
dem, was ihm auf dem Herzen war.

Und die Nachricht von ihrem Tod kam ins
Pfarrhaus, als der gute Mann eben vom Tisch
aufstehen, und bald wieder in die Kirche wollte.

C c 3

Ich erliege unter der Laſt unausdrukbarer
Dinge, die im Ganzen meines Traums vor mir
ſtehen.

Es glich ihr Klagblik im erloͤſchenden Aug —
dem Blik des ſterbenden Lamms, das unter den
Haͤnden des Wuͤrgers verblutet. —

Nein! er glich nicht einem blutenden Thier, —
er glich — ich kan nicht ſagen was, — koͤnnte ichs,
man wuͤrde nicht mehr Abgoͤtterey treiben mit
Gott — und den Menſchen thun laſſen, was
ſeine Sach iſt.

Ihr Blik durchſchnitt dem Pfarrer das Herz,
und der Gedanke, ſie iſt das Opfer der Thorheit.
Die Lehre von Gott, den Menſchen wie ein
Meſſer an Hals zu ſezen, machte ihn zittern. Er
fuͤhlte das Elend der Menſchen, die an dieſem
Meſſer verbluten, und nicht minder die Gefahr
derjenigen, die ihm entfliehen.

Es legte ihn ungeſchlafen, und noch morndes
ſtuhnd ihr Bild vor ihm, alſo daß er an dieſem
Morgen beynahe unvernuͤnftig predigte, denn
er redte uͤber etwas ganz anders, und wußte die
halbe Zeit nicht was er ſagte.

Zu Mittag hingegen hatte er ſeine Sinnen
wieder bey einander, denn er redte da nur von
dem, was ihm auf dem Herzen war.

Und die Nachricht von ihrem Tod kam ins
Pfarrhaus, als der gute Mann eben vom Tiſch
aufſtehen, und bald wieder in die Kirche wollte.

C c 3
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[405/0427] Ich erliege unter der Laſt unausdrukbarer Dinge, die im Ganzen meines Traums vor mir ſtehen. Es glich ihr Klagblik im erloͤſchenden Aug — dem Blik des ſterbenden Lamms, das unter den Haͤnden des Wuͤrgers verblutet. — Nein! er glich nicht einem blutenden Thier, — er glich — ich kan nicht ſagen was, — koͤnnte ichs, man wuͤrde nicht mehr Abgoͤtterey treiben mit Gott — und den Menſchen thun laſſen, was ſeine Sach iſt. Ihr Blik durchſchnitt dem Pfarrer das Herz, und der Gedanke, ſie iſt das Opfer der Thorheit. Die Lehre von Gott, den Menſchen wie ein Meſſer an Hals zu ſezen, machte ihn zittern. Er fuͤhlte das Elend der Menſchen, die an dieſem Meſſer verbluten, und nicht minder die Gefahr derjenigen, die ihm entfliehen. Es legte ihn ungeſchlafen, und noch morndes ſtuhnd ihr Bild vor ihm, alſo daß er an dieſem Morgen beynahe unvernuͤnftig predigte, denn er redte uͤber etwas ganz anders, und wußte die halbe Zeit nicht was er ſagte. Zu Mittag hingegen hatte er ſeine Sinnen wieder bey einander, denn er redte da nur von dem, was ihm auf dem Herzen war. Und die Nachricht von ihrem Tod kam ins Pfarrhaus, als der gute Mann eben vom Tiſch aufſtehen, und bald wieder in die Kirche wollte. C c 3

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/427>, abgerufen am 29.03.2024.