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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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Kopf herumtragen, werden einseitig und fröm-
melnd.

Und weil die Menschen überhaupt schwach
sind und ein blödes Geschlecht, und nichts anders
sind als was sie sind, so macht das Ueberziehen
dieses Religionspfundes, daß sie auf der einten
Seiten sorglos, unaufmerksam, Gedankenleer,
und darum blind; auf der andern Seiten er-
staunlich leicht, empfindungsvoll, empfindlich,
voller Ansprüche, und dabey in sich selbst ge-
kehrt, zu einem krummen, geheimen, verschla-
genen Lebensgang geneigt, und dabey im Na-
men des Herrn gewaltthätig.

Und es braucht nicht mehr als dieses, um die
Menschen in allen menschlichen Verhältnissen
unzuverläßig und unbrauchbar und zu abhäng-
lichen, ihrer Nothdurft und Umständen nicht ge-
nug zu thun, fähigen, und dabey ihre Wünsche
immer überstimmenden armen Bettelgeschöp-
fen zu machen. -- So, wiederholte er, liegt
die Drohung Gottes das Kind des Schwärmers,
der ein Bild von Gott in den Händen oder im
Kopf hat, bis in das dritte und vierte Geschlecht
die Missethat des Vaters empfinden zu lassen, in
unserer Natur.

Denn fuhr er fort.

Gott hat sich den Menschen verborgen und
die Geheimnisse der Zukunft für ihn in undurch-
dringliche Schatten gelegt, damit der Raupe in
ihrer Hülle wohl sey.


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Kopf herumtragen, werden einſeitig und froͤm-
melnd.

Und weil die Menſchen uͤberhaupt ſchwach
ſind und ein bloͤdes Geſchlecht, und nichts anders
ſind als was ſie ſind, ſo macht das Ueberziehen
dieſes Religionspfundes, daß ſie auf der einten
Seiten ſorglos, unaufmerkſam, Gedankenleer,
und darum blind; auf der andern Seiten er-
ſtaunlich leicht, empfindungsvoll, empfindlich,
voller Anſpruͤche, und dabey in ſich ſelbſt ge-
kehrt, zu einem krummen, geheimen, verſchla-
genen Lebensgang geneigt, und dabey im Na-
men des Herrn gewaltthaͤtig.

Und es braucht nicht mehr als dieſes, um die
Menſchen in allen menſchlichen Verhaͤltniſſen
unzuverlaͤßig und unbrauchbar und zu abhaͤng-
lichen, ihrer Nothdurft und Umſtaͤnden nicht ge-
nug zu thun, faͤhigen, und dabey ihre Wuͤnſche
immer uͤberſtimmenden armen Bettelgeſchoͤp-
fen zu machen. — So, wiederholte er, liegt
die Drohung Gottes das Kind des Schwaͤrmers,
der ein Bild von Gott in den Haͤnden oder im
Kopf hat, bis in das dritte und vierte Geſchlecht
die Miſſethat des Vaters empfinden zu laſſen, in
unſerer Natur.

Denn fuhr er fort.

Gott hat ſich den Menſchen verborgen und
die Geheimniſſe der Zukunft fuͤr ihn in undurch-
dringliche Schatten gelegt, damit der Raupe in
ihrer Huͤlle wohl ſey.


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[407/0429] Kopf herumtragen, werden einſeitig und froͤm- melnd. Und weil die Menſchen uͤberhaupt ſchwach ſind und ein bloͤdes Geſchlecht, und nichts anders ſind als was ſie ſind, ſo macht das Ueberziehen dieſes Religionspfundes, daß ſie auf der einten Seiten ſorglos, unaufmerkſam, Gedankenleer, und darum blind; auf der andern Seiten er- ſtaunlich leicht, empfindungsvoll, empfindlich, voller Anſpruͤche, und dabey in ſich ſelbſt ge- kehrt, zu einem krummen, geheimen, verſchla- genen Lebensgang geneigt, und dabey im Na- men des Herrn gewaltthaͤtig. Und es braucht nicht mehr als dieſes, um die Menſchen in allen menſchlichen Verhaͤltniſſen unzuverlaͤßig und unbrauchbar und zu abhaͤng- lichen, ihrer Nothdurft und Umſtaͤnden nicht ge- nug zu thun, faͤhigen, und dabey ihre Wuͤnſche immer uͤberſtimmenden armen Bettelgeſchoͤp- fen zu machen. — So, wiederholte er, liegt die Drohung Gottes das Kind des Schwaͤrmers, der ein Bild von Gott in den Haͤnden oder im Kopf hat, bis in das dritte und vierte Geſchlecht die Miſſethat des Vaters empfinden zu laſſen, in unſerer Natur. Denn fuhr er fort. Gott hat ſich den Menſchen verborgen und die Geheimniſſe der Zukunft fuͤr ihn in undurch- dringliche Schatten gelegt, damit der Raupe in ihrer Huͤlle wohl ſey. C c 4

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/429>, abgerufen am 25.04.2024.