Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht seyn: Er saß eben dem Vater auf der
Schoos, und faßte mit der einen Hand ihn
und mit der andern die Mutter um den Hals
und fieng so zwischen ihnen beyden auch an zu
wainen. --

Sie wollten jezt gern aufhören, aber sie
konnten nicht, drükten ihn mit ihren Köpfen
gegen einander und sagten ihm, sie wainen
nur vor Freuden, und er gebe wills Gott,
ein brafer Meister. Er aber ward nicht bald
wieder frölich -- und nahm seine Pflasterkelle
eine Weile nicht mehr vom Boden auf. --

§. 10.
Folgen der Erziehung.

Sie hat alle Tage fast bis zu Nacht des Ru-
dis Kinder in ihrer Stuben; an den
meisten Abenden trift er, wenn er von der
Arbeit heimkommt, sie noch bey ihr an.

Aber es kann Niemand glauben was sie für
Mühe mit ihnen hat; sie sind an gar keine
Ordnung und keine anhaltende Anstrengung
gewöhnt, und haben ihre Augen, wenn sie sie
sollen auf dem Garn halten, immer in den
Lüften; und so wird es immer bald zu dik bald
zu dünn, und nie recht. -- Es wird auch nie
keine Lehrarbeit recht, wenn ein Kind die Augen

nicht ſeyn: Er ſaß eben dem Vater auf der
Schoos, und faßte mit der einen Hand ihn
und mit der andern die Mutter um den Hals
und fieng ſo zwiſchen ihnen beyden auch an zu
wainen. —

Sie wollten jezt gern aufhoͤren, aber ſie
konnten nicht, druͤkten ihn mit ihren Koͤpfen
gegen einander und ſagten ihm, ſie wainen
nur vor Freuden, und er gebe wills Gott,
ein brafer Meiſter. Er aber ward nicht bald
wieder froͤlich — und nahm ſeine Pflaſterkelle
eine Weile nicht mehr vom Boden auf. —

§. 10.
Folgen der Erziehung.

Sie hat alle Tage faſt bis zu Nacht des Ru-
dis Kinder in ihrer Stuben; an den
meiſten Abenden trift er, wenn er von der
Arbeit heimkommt, ſie noch bey ihr an.

Aber es kann Niemand glauben was ſie fuͤr
Muͤhe mit ihnen hat; ſie ſind an gar keine
Ordnung und keine anhaltende Anſtrengung
gewoͤhnt, und haben ihre Augen, wenn ſie ſie
ſollen auf dem Garn halten, immer in den
Luͤften; und ſo wird es immer bald zu dik bald
zu duͤnn, und nie recht. — Es wird auch nie
keine Lehrarbeit recht, wenn ein Kind die Augen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="40"/>
nicht &#x017F;eyn: Er &#x017F;aß eben dem Vater auf der<lb/>
Schoos, und faßte mit der einen Hand ihn<lb/>
und mit der andern die Mutter um den Hals<lb/>
und fieng &#x017F;o zwi&#x017F;chen ihnen beyden auch an zu<lb/>
wainen. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Sie wollten jezt gern aufho&#x0364;ren, aber &#x017F;ie<lb/>
konnten nicht, dru&#x0364;kten ihn mit ihren Ko&#x0364;pfen<lb/>
gegen einander und &#x017F;agten ihm, &#x017F;ie wainen<lb/>
nur vor Freuden, und er gebe wills Gott,<lb/>
ein brafer Mei&#x017F;ter. Er aber ward nicht bald<lb/>
wieder fro&#x0364;lich &#x2014; und nahm &#x017F;eine Pfla&#x017F;terkelle<lb/>
eine Weile nicht mehr vom Boden auf. &#x2014;</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>§. 10.<lb/>
Folgen der Erziehung.</head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">S</hi>ie hat alle Tage fa&#x017F;t bis zu Nacht des Ru-<lb/>
dis Kinder in ihrer Stuben; an den<lb/>
mei&#x017F;ten Abenden trift er, wenn er von der<lb/>
Arbeit heimkommt, &#x017F;ie noch bey ihr an.</p><lb/>
        <p>Aber es kann Niemand glauben was &#x017F;ie fu&#x0364;r<lb/>
Mu&#x0364;he mit ihnen hat; &#x017F;ie &#x017F;ind an gar keine<lb/>
Ordnung und keine anhaltende An&#x017F;trengung<lb/>
gewo&#x0364;hnt, und haben ihre Augen, wenn &#x017F;ie &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ollen auf dem Garn halten, immer in den<lb/>
Lu&#x0364;ften; und &#x017F;o wird es immer bald zu dik bald<lb/>
zu du&#x0364;nn, und nie recht. &#x2014; Es wird auch nie<lb/>
keine Lehrarbeit recht, wenn ein Kind die Augen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0062] nicht ſeyn: Er ſaß eben dem Vater auf der Schoos, und faßte mit der einen Hand ihn und mit der andern die Mutter um den Hals und fieng ſo zwiſchen ihnen beyden auch an zu wainen. — Sie wollten jezt gern aufhoͤren, aber ſie konnten nicht, druͤkten ihn mit ihren Koͤpfen gegen einander und ſagten ihm, ſie wainen nur vor Freuden, und er gebe wills Gott, ein brafer Meiſter. Er aber ward nicht bald wieder froͤlich — und nahm ſeine Pflaſterkelle eine Weile nicht mehr vom Boden auf. — §. 10. Folgen der Erziehung. Sie hat alle Tage faſt bis zu Nacht des Ru- dis Kinder in ihrer Stuben; an den meiſten Abenden trift er, wenn er von der Arbeit heimkommt, ſie noch bey ihr an. Aber es kann Niemand glauben was ſie fuͤr Muͤhe mit ihnen hat; ſie ſind an gar keine Ordnung und keine anhaltende Anſtrengung gewoͤhnt, und haben ihre Augen, wenn ſie ſie ſollen auf dem Garn halten, immer in den Luͤften; und ſo wird es immer bald zu dik bald zu duͤnn, und nie recht. — Es wird auch nie keine Lehrarbeit recht, wenn ein Kind die Augen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/62
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/62>, abgerufen am 19.04.2024.