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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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Winkeln und Ecken die Hände, und bethet mit sei-
nen Schwestern auf den Knien. --

Der Rollenberger kann sie nicht mehr lehren,
er weißt oft nicht was er redt. --

Gedrückter, als sie alle, ist noch der General.

Er hat 70 Jahre hinter sich, und vielleicht nicht
zwey Nächte hinter einander nicht geschlafen, und
vielleicht keinen Tag ohne Zerstreuung verlebt --
Kummer und Sorgen sind bey ihm immer in
Minuten leichter Kürze vorbey gegangen. Izt hat
er schon vier schlaflose Nächte und vier ruhlose
Tage nur einen einzigen Gedanken, nur eine ein-
zige Empfindung in seiner belasteten Seele. -- Er
nimmt an Fleisch und Farbe mehr als der Kranke
im Bett ab, meynt es sey nichts anders, Arner
müsse sterben, kann nicht aufhören zu denken, er
sey die Schuld daran, und glaubt, er sterbe ihm
bald nach.

In diesem Zustand flieht er Sylvia, wo er sie
sieht. -- Und da Therese ihrer Schwermuth hal-
ben Mitleiden zeigte, gab er zur Antwort, sie hat
das Haus angezündet, izt schalket sie noch. --

Sie gieng umher wie der Schatten an der
Wand, zog den Athem, daß man sie von weitem
hörte; stellte sich vor, es sey ihr izt alles gleich,
und es möge kommen wie es wolle, so sey sie im-

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Winkeln und Ecken die Haͤnde, und bethet mit ſei-
nen Schweſtern auf den Knien. —

Der Rollenberger kann ſie nicht mehr lehren,
er weißt oft nicht was er redt. —

Gedruͤckter, als ſie alle, iſt noch der General.

Er hat 70 Jahre hinter ſich, und vielleicht nicht
zwey Naͤchte hinter einander nicht geſchlafen, und
vielleicht keinen Tag ohne Zerſtreuung verlebt —
Kummer und Sorgen ſind bey ihm immer in
Minuten leichter Kuͤrze vorbey gegangen. Izt hat
er ſchon vier ſchlafloſe Naͤchte und vier ruhloſe
Tage nur einen einzigen Gedanken, nur eine ein-
zige Empfindung in ſeiner belaſteten Seele. — Er
nimmt an Fleiſch und Farbe mehr als der Kranke
im Bett ab, meynt es ſey nichts anders, Arner
muͤſſe ſterben, kann nicht aufhoͤren zu denken, er
ſey die Schuld daran, und glaubt, er ſterbe ihm
bald nach.

In dieſem Zuſtand flieht er Sylvia, wo er ſie
ſieht. — Und da Thereſe ihrer Schwermuth hal-
ben Mitleiden zeigte, gab er zur Antwort, ſie hat
das Haus angezuͤndet, izt ſchalket ſie noch. —

Sie gieng umher wie der Schatten an der
Wand, zog den Athem, daß man ſie von weitem
hoͤrte; ſtellte ſich vor, es ſey ihr izt alles gleich,
und es moͤge kommen wie es wolle, ſo ſey ſie im-

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[87/0105] Winkeln und Ecken die Haͤnde, und bethet mit ſei- nen Schweſtern auf den Knien. — Der Rollenberger kann ſie nicht mehr lehren, er weißt oft nicht was er redt. — Gedruͤckter, als ſie alle, iſt noch der General. Er hat 70 Jahre hinter ſich, und vielleicht nicht zwey Naͤchte hinter einander nicht geſchlafen, und vielleicht keinen Tag ohne Zerſtreuung verlebt — Kummer und Sorgen ſind bey ihm immer in Minuten leichter Kuͤrze vorbey gegangen. Izt hat er ſchon vier ſchlafloſe Naͤchte und vier ruhloſe Tage nur einen einzigen Gedanken, nur eine ein- zige Empfindung in ſeiner belaſteten Seele. — Er nimmt an Fleiſch und Farbe mehr als der Kranke im Bett ab, meynt es ſey nichts anders, Arner muͤſſe ſterben, kann nicht aufhoͤren zu denken, er ſey die Schuld daran, und glaubt, er ſterbe ihm bald nach. In dieſem Zuſtand flieht er Sylvia, wo er ſie ſieht. — Und da Thereſe ihrer Schwermuth hal- ben Mitleiden zeigte, gab er zur Antwort, ſie hat das Haus angezuͤndet, izt ſchalket ſie noch. — Sie gieng umher wie der Schatten an der Wand, zog den Athem, daß man ſie von weitem hoͤrte; ſtellte ſich vor, es ſey ihr izt alles gleich, und es moͤge kommen wie es wolle, ſo ſey ſie im- F 4

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/105>, abgerufen am 23.04.2024.