Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

gemein als höchstnothwendig auffalle, höchstwahr-
scheinlich auch möglich sey.

Die Bauern, die bestimmt -- wie er -- fan-
den, daß die Menschen, so bald sie sich selbst über-
lassen, träg, unwissend, unvorsichtig, und völlig,
wie er sie beschrieben, werden, hielten sich, ihre
Meynung hierüber deutlich zu machen, an die Be-
schreibung der alten Ordnung in Bonnal, und sag-
ten, die Leute seyen so sinnlos und vergeßlich ge-
worden, daß sie nicht mehr zu gebrauchen gewe-
sen, und man mit ihnen in allen Stücken nicht
mehr das Halbe habe ausrichten können, was vor-
mals landsüblich gewesen.

Die Gründe zum Rechtthun seyen den Leuten
wie vor den Augen weggethan -- und hingegen
die Gründe zum Lumpen und Schelmen wie vorge-
mahlt und vorgesungen worden. Man habe es mit
Lumpenstreichen und Bosheiten gar viel weiters
bringen, mehr dabey gewinnen, und damit leich-
ter zu Wein, Brod und Fleisch kommen können;
auch haben sie das Rechtthun für keine Ehre mehr
gehalten, und keine Freude dabey gehabt, so we-
nig als Scham und Furcht. Die kleinsten Kinder,
wenn man ihnen etwas abgewehret, seyen im Stand
gewesen, den Rücken zu kehren, und anfangen zu
singen: "Was reden die Leute, was bellen die
Hunde!" Wer der Frecheste und der Schlaueste,

und

gemein als hoͤchſtnothwendig auffalle, hoͤchſtwahr-
ſcheinlich auch moͤglich ſey.

Die Bauern, die beſtimmt — wie er — fan-
den, daß die Menſchen, ſo bald ſie ſich ſelbſt uͤber-
laſſen, traͤg, unwiſſend, unvorſichtig, und voͤllig,
wie er ſie beſchrieben, werden, hielten ſich, ihre
Meynung hieruͤber deutlich zu machen, an die Be-
ſchreibung der alten Ordnung in Bonnal, und ſag-
ten, die Leute ſeyen ſo ſinnlos und vergeßlich ge-
worden, daß ſie nicht mehr zu gebrauchen gewe-
ſen, und man mit ihnen in allen Stuͤcken nicht
mehr das Halbe habe ausrichten koͤnnen, was vor-
mals landsuͤblich geweſen.

Die Gruͤnde zum Rechtthun ſeyen den Leuten
wie vor den Augen weggethan — und hingegen
die Gruͤnde zum Lumpen und Schelmen wie vorge-
mahlt und vorgeſungen worden. Man habe es mit
Lumpenſtreichen und Bosheiten gar viel weiters
bringen, mehr dabey gewinnen, und damit leich-
ter zu Wein, Brod und Fleiſch kommen koͤnnen;
auch haben ſie das Rechtthun fuͤr keine Ehre mehr
gehalten, und keine Freude dabey gehabt, ſo we-
nig als Scham und Furcht. Die kleinſten Kinder,
wenn man ihnen etwas abgewehret, ſeyen im Stand
geweſen, den Ruͤcken zu kehren, und anfangen zu
ſingen: „Was reden die Leute, was bellen die
Hunde!„ Wer der Frecheſte und der Schlaueſte,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0194" n="176"/>
gemein als ho&#x0364;ch&#x017F;tnothwendig auffalle, ho&#x0364;ch&#x017F;twahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich auch mo&#x0364;glich &#x017F;ey.</p><lb/>
        <p>Die Bauern, die be&#x017F;timmt &#x2014; wie er &#x2014; fan-<lb/>
den, daß die Men&#x017F;chen, &#x017F;o bald &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;ber-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, tra&#x0364;g, unwi&#x017F;&#x017F;end, unvor&#x017F;ichtig, und vo&#x0364;llig,<lb/>
wie er &#x017F;ie be&#x017F;chrieben, werden, hielten &#x017F;ich, ihre<lb/>
Meynung hieru&#x0364;ber deutlich zu machen, an die Be-<lb/>
&#x017F;chreibung der alten Ordnung in Bonnal, und &#x017F;ag-<lb/>
ten, die Leute &#x017F;eyen &#x017F;o &#x017F;innlos und vergeßlich ge-<lb/>
worden, daß &#x017F;ie nicht mehr zu gebrauchen gewe-<lb/>
&#x017F;en, und man mit ihnen in allen Stu&#x0364;cken nicht<lb/>
mehr das Halbe habe ausrichten ko&#x0364;nnen, was vor-<lb/>
mals landsu&#x0364;blich gewe&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Die Gru&#x0364;nde zum Rechtthun &#x017F;eyen den Leuten<lb/>
wie vor den Augen weggethan &#x2014; und hingegen<lb/>
die Gru&#x0364;nde zum Lumpen und Schelmen wie vorge-<lb/>
mahlt und vorge&#x017F;ungen worden. Man habe es mit<lb/>
Lumpen&#x017F;treichen und Bosheiten gar viel weiters<lb/>
bringen, mehr dabey gewinnen, und damit leich-<lb/>
ter zu Wein, Brod und Flei&#x017F;ch kommen ko&#x0364;nnen;<lb/>
auch haben &#x017F;ie das Rechtthun fu&#x0364;r keine Ehre mehr<lb/>
gehalten, und keine Freude dabey gehabt, &#x017F;o we-<lb/>
nig als Scham und Furcht. Die klein&#x017F;ten Kinder,<lb/>
wenn man ihnen etwas abgewehret, &#x017F;eyen im Stand<lb/>
gewe&#x017F;en, den Ru&#x0364;cken zu kehren, und anfangen zu<lb/>
&#x017F;ingen: &#x201E;Was reden die Leute, was bellen die<lb/>
Hunde!&#x201E; Wer der Freche&#x017F;te und der Schlaue&#x017F;te,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0194] gemein als hoͤchſtnothwendig auffalle, hoͤchſtwahr- ſcheinlich auch moͤglich ſey. Die Bauern, die beſtimmt — wie er — fan- den, daß die Menſchen, ſo bald ſie ſich ſelbſt uͤber- laſſen, traͤg, unwiſſend, unvorſichtig, und voͤllig, wie er ſie beſchrieben, werden, hielten ſich, ihre Meynung hieruͤber deutlich zu machen, an die Be- ſchreibung der alten Ordnung in Bonnal, und ſag- ten, die Leute ſeyen ſo ſinnlos und vergeßlich ge- worden, daß ſie nicht mehr zu gebrauchen gewe- ſen, und man mit ihnen in allen Stuͤcken nicht mehr das Halbe habe ausrichten koͤnnen, was vor- mals landsuͤblich geweſen. Die Gruͤnde zum Rechtthun ſeyen den Leuten wie vor den Augen weggethan — und hingegen die Gruͤnde zum Lumpen und Schelmen wie vorge- mahlt und vorgeſungen worden. Man habe es mit Lumpenſtreichen und Bosheiten gar viel weiters bringen, mehr dabey gewinnen, und damit leich- ter zu Wein, Brod und Fleiſch kommen koͤnnen; auch haben ſie das Rechtthun fuͤr keine Ehre mehr gehalten, und keine Freude dabey gehabt, ſo we- nig als Scham und Furcht. Die kleinſten Kinder, wenn man ihnen etwas abgewehret, ſeyen im Stand geweſen, den Ruͤcken zu kehren, und anfangen zu ſingen: „Was reden die Leute, was bellen die Hunde!„ Wer der Frecheſte und der Schlaueſte, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/194
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/194>, abgerufen am 28.03.2024.