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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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den, nicht zu urtheilen, vielweniger zu handeln,
bis er erwogen, ermessen, erforscht, und berech-
net, das ists, was ihn unter seinen Mitmenschen
vernünftig darstellt.

Eben so besteht eine wahre Scham in seiner
Sorgfalt in dem, was er redt, urtheilt, handelt,
und leidet, darauf zu achten, daß es nicht unüber-
legt, unbedacht, und unerwogen scheine.

Beydes, Vernunft und Scham, finden als
Kinder des Eigenthums ihre erste, beste und rein-
ste Nahrung an der Brust ihrer Mutter; und so
wohl der Uebergang von den Fehlern des Naturle-
bens, als die Verhütung der Verwilderung des
Menschen in der Gesellschaft, ist im Allgemeinen
durch nichts sicherer zu erzielen, als durch eine weise
Bildung desselben zur guten Besorgung seines Ei-
genthums, in dem er durch nichts besser, als durch
Einlenkung seiner Kräften auf diesen Punkt, zu
derjenigen Bedächtlichkeit, Vorsicht, Ueberlegung
und Ordnung gebracht werden kann, ohne welche
weder wahre Vernunft, noch wahre Scham, im
bürgerlichen Leben Plaz haben kann.

Desnahen ruhen die Regeln einer weisen Ge-
sezgebung für die Erhaltung und Bildung der wah-
ren Schamhaftigkeit auf den gleichen Grundsätzen,
auf denen auch diejenigen gegen den Diebstahl ru-

den, nicht zu urtheilen, vielweniger zu handeln,
bis er erwogen, ermeſſen, erforſcht, und berech-
net, das iſts, was ihn unter ſeinen Mitmenſchen
vernuͤnftig darſtellt.

Eben ſo beſteht eine wahre Scham in ſeiner
Sorgfalt in dem, was er redt, urtheilt, handelt,
und leidet, darauf zu achten, daß es nicht unuͤber-
legt, unbedacht, und unerwogen ſcheine.

Beydes, Vernunft und Scham, finden als
Kinder des Eigenthums ihre erſte, beſte und rein-
ſte Nahrung an der Bruſt ihrer Mutter; und ſo
wohl der Uebergang von den Fehlern des Naturle-
bens, als die Verhuͤtung der Verwilderung des
Menſchen in der Geſellſchaft, iſt im Allgemeinen
durch nichts ſicherer zu erzielen, als durch eine weiſe
Bildung deſſelben zur guten Beſorgung ſeines Ei-
genthums, in dem er durch nichts beſſer, als durch
Einlenkung ſeiner Kraͤften auf dieſen Punkt, zu
derjenigen Bedaͤchtlichkeit, Vorſicht, Ueberlegung
und Ordnung gebracht werden kann, ohne welche
weder wahre Vernunft, noch wahre Scham, im
buͤrgerlichen Leben Plaz haben kann.

Desnahen ruhen die Regeln einer weiſen Ge-
ſezgebung fuͤr die Erhaltung und Bildung der wah-
ren Schamhaftigkeit auf den gleichen Grundſaͤtzen,
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[308/0326] den, nicht zu urtheilen, vielweniger zu handeln, bis er erwogen, ermeſſen, erforſcht, und berech- net, das iſts, was ihn unter ſeinen Mitmenſchen vernuͤnftig darſtellt. Eben ſo beſteht eine wahre Scham in ſeiner Sorgfalt in dem, was er redt, urtheilt, handelt, und leidet, darauf zu achten, daß es nicht unuͤber- legt, unbedacht, und unerwogen ſcheine. Beydes, Vernunft und Scham, finden als Kinder des Eigenthums ihre erſte, beſte und rein- ſte Nahrung an der Bruſt ihrer Mutter; und ſo wohl der Uebergang von den Fehlern des Naturle- bens, als die Verhuͤtung der Verwilderung des Menſchen in der Geſellſchaft, iſt im Allgemeinen durch nichts ſicherer zu erzielen, als durch eine weiſe Bildung deſſelben zur guten Beſorgung ſeines Ei- genthums, in dem er durch nichts beſſer, als durch Einlenkung ſeiner Kraͤften auf dieſen Punkt, zu derjenigen Bedaͤchtlichkeit, Vorſicht, Ueberlegung und Ordnung gebracht werden kann, ohne welche weder wahre Vernunft, noch wahre Scham, im buͤrgerlichen Leben Plaz haben kann. Desnahen ruhen die Regeln einer weiſen Ge- ſezgebung fuͤr die Erhaltung und Bildung der wah- ren Schamhaftigkeit auf den gleichen Grundſaͤtzen, auf denen auch diejenigen gegen den Diebſtahl ru-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/326>, abgerufen am 26.04.2024.