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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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heiten und Sünden mehr und allgemeiner entgegen
wirkte, und ihre Gemüthsruhe, und jede gute Kraft
der Seele weit mehr und allgemeiner beförderte,
als sie es noch nie gesehen. Sie meynten dennoch,
erstlich: der Pfarrer unterrichte die Leute nicht ge-
nug in der Religionslehre; zweytens, er erwärme
sie nicht genug mit den Heiligthümern des Glau-
bens; drittens, er setze einen zu großen Werth auf
irrdische Dinge; und viertens, er binde ihr Ver-
trauen auf Gott an das gefährliche Strohhalm ih-
rer eigenen Sorgfalt.

Die Antworten des Pfarrers und des Lieute-
nants über diese Punkte bestunden darinn --

1. Der wissenschaftliche Unterricht über die Re-
ligion sey eine Menschenfoderung, und werde von
der Bibel auf keine Weise als ein Bedingniß der
Seligkeit gefodert, nicht einmal als ein Mittel zu
derselben empfohlen. -- Das Volk im Ganzen sey
unfähig irgend einen wissenschaftlichen Unterricht
anderst zu fassen, als es die armseligsten Blend-
werke des trugvollsten Aberglaubens auch fassen
würde. -- Die Bibel fodere vom Menschen nicht
Religions-Wissenschaft, sondern Religions-Ausü-
bung. -- Alle Versuche, die Religion zu erklären,
bringe das Volk von der einfältigen, geraden, sich
in nichts Fremdes, und in nichts das ob der Hand
ist mischenden Seelenstimmung ab, und mache es
dadurch sehr vieles verlieren. --

F f

heiten und Suͤnden mehr und allgemeiner entgegen
wirkte, und ihre Gemuͤthsruhe, und jede gute Kraft
der Seele weit mehr und allgemeiner befoͤrderte,
als ſie es noch nie geſehen. Sie meynten dennoch,
erſtlich: der Pfarrer unterrichte die Leute nicht ge-
nug in der Religionslehre; zweytens, er erwaͤrme
ſie nicht genug mit den Heiligthuͤmern des Glau-
bens; drittens, er ſetze einen zu großen Werth auf
irrdiſche Dinge; und viertens, er binde ihr Ver-
trauen auf Gott an das gefaͤhrliche Strohhalm ih-
rer eigenen Sorgfalt.

Die Antworten des Pfarrers und des Lieute-
nants uͤber dieſe Punkte beſtunden darinn —

1. Der wiſſenſchaftliche Unterricht uͤber die Re-
ligion ſey eine Menſchenfoderung, und werde von
der Bibel auf keine Weiſe als ein Bedingniß der
Seligkeit gefodert, nicht einmal als ein Mittel zu
derſelben empfohlen. — Das Volk im Ganzen ſey
unfaͤhig irgend einen wiſſenſchaftlichen Unterricht
anderſt zu faſſen, als es die armſeligſten Blend-
werke des trugvollſten Aberglaubens auch faſſen
wuͤrde. — Die Bibel fodere vom Menſchen nicht
Religions-Wiſſenſchaft, ſondern Religions-Ausuͤ-
bung. — Alle Verſuche, die Religion zu erklaͤren,
bringe das Volk von der einfaͤltigen, geraden, ſich
in nichts Fremdes, und in nichts das ob der Hand
iſt miſchenden Seelenſtimmung ab, und mache es
dadurch ſehr vieles verlieren. —

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[449/0467] heiten und Suͤnden mehr und allgemeiner entgegen wirkte, und ihre Gemuͤthsruhe, und jede gute Kraft der Seele weit mehr und allgemeiner befoͤrderte, als ſie es noch nie geſehen. Sie meynten dennoch, erſtlich: der Pfarrer unterrichte die Leute nicht ge- nug in der Religionslehre; zweytens, er erwaͤrme ſie nicht genug mit den Heiligthuͤmern des Glau- bens; drittens, er ſetze einen zu großen Werth auf irrdiſche Dinge; und viertens, er binde ihr Ver- trauen auf Gott an das gefaͤhrliche Strohhalm ih- rer eigenen Sorgfalt. Die Antworten des Pfarrers und des Lieute- nants uͤber dieſe Punkte beſtunden darinn — 1. Der wiſſenſchaftliche Unterricht uͤber die Re- ligion ſey eine Menſchenfoderung, und werde von der Bibel auf keine Weiſe als ein Bedingniß der Seligkeit gefodert, nicht einmal als ein Mittel zu derſelben empfohlen. — Das Volk im Ganzen ſey unfaͤhig irgend einen wiſſenſchaftlichen Unterricht anderſt zu faſſen, als es die armſeligſten Blend- werke des trugvollſten Aberglaubens auch faſſen wuͤrde. — Die Bibel fodere vom Menſchen nicht Religions-Wiſſenſchaft, ſondern Religions-Ausuͤ- bung. — Alle Verſuche, die Religion zu erklaͤren, bringe das Volk von der einfaͤltigen, geraden, ſich in nichts Fremdes, und in nichts das ob der Hand iſt miſchenden Seelenſtimmung ab, und mache es dadurch ſehr vieles verlieren. — F f

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/467>, abgerufen am 30.04.2024.