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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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alles, aber es wagt es doch kein Mensch, wie es
sonst unter den Bauern der Gebrauch ist, mit ihm
davon zu reden.

Sie haben, wie Sie wissen, an nichts anderm
eine solche Freude, als wenn sie in dergleichen Fällen
jemanden mit dem Heuchler Ton von Mitleiden
und Theilnehmung kränken können -- aber ihn
lassen sie gehen. Es hat es ein einziger gewagt --
der Näggelspitz -- ein Kerl, von dem Freund und
Feind sagen: wenn er etwas im Mund habe, könne
er nicht schweigen, auch wenn der Henker mit dem
Schwert vor ihm stünde -- aber der Lieutenant hat
nur die Augen etwas mehr als gewohnt gegen ihn
aufgethan, auch den Kopf etwas mehr als gewohnt
ob sich und gegen ihn gerichtet. Das Wort ist
dem armen Niggel, wie gesagt, vor meinen Augen
im Maul stocken geblieben.

So viel Gewalt hat er über die Leute, und
ihm macht es nichts, aber hingegen ist es doch fatal
für unsere Ordnung, und kann uns sehr schaden.
Alles Gute ist noch Nagelneu, der alte Sauerteig
noch nichts weniger als todt, man braucht nur
Wasser dazu zu schütten, so geht er in allen Ecken
wieder auf. --

Ich spüre alle Tage mehr, daß noch viele Leute,
und diese noch von den ersten im Dorf sind, die

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alles, aber es wagt es doch kein Menſch, wie es
ſonſt unter den Bauern der Gebrauch iſt, mit ihm
davon zu reden.

Sie haben, wie Sie wiſſen, an nichts anderm
eine ſolche Freude, als wenn ſie in dergleichen Faͤllen
jemanden mit dem Heuchler Ton von Mitleiden
und Theilnehmung kraͤnken koͤnnen — aber ihn
laſſen ſie gehen. Es hat es ein einziger gewagt —
der Naͤggelſpitz — ein Kerl, von dem Freund und
Feind ſagen: wenn er etwas im Mund habe, koͤnne
er nicht ſchweigen, auch wenn der Henker mit dem
Schwert vor ihm ſtuͤnde — aber der Lieutenant hat
nur die Augen etwas mehr als gewohnt gegen ihn
aufgethan, auch den Kopf etwas mehr als gewohnt
ob ſich und gegen ihn gerichtet. Das Wort iſt
dem armen Niggel, wie geſagt, vor meinen Augen
im Maul ſtocken geblieben.

So viel Gewalt hat er uͤber die Leute, und
ihm macht es nichts, aber hingegen iſt es doch fatal
fuͤr unſere Ordnung, und kann uns ſehr ſchaden.
Alles Gute iſt noch Nagelneu, der alte Sauerteig
noch nichts weniger als todt, man braucht nur
Waſſer dazu zu ſchuͤtten, ſo geht er in allen Ecken
wieder auf. —

Ich ſpuͤre alle Tage mehr, daß noch viele Leute,
und dieſe noch von den erſten im Dorf ſind, die

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[37/0055] alles, aber es wagt es doch kein Menſch, wie es ſonſt unter den Bauern der Gebrauch iſt, mit ihm davon zu reden. Sie haben, wie Sie wiſſen, an nichts anderm eine ſolche Freude, als wenn ſie in dergleichen Faͤllen jemanden mit dem Heuchler Ton von Mitleiden und Theilnehmung kraͤnken koͤnnen — aber ihn laſſen ſie gehen. Es hat es ein einziger gewagt — der Naͤggelſpitz — ein Kerl, von dem Freund und Feind ſagen: wenn er etwas im Mund habe, koͤnne er nicht ſchweigen, auch wenn der Henker mit dem Schwert vor ihm ſtuͤnde — aber der Lieutenant hat nur die Augen etwas mehr als gewohnt gegen ihn aufgethan, auch den Kopf etwas mehr als gewohnt ob ſich und gegen ihn gerichtet. Das Wort iſt dem armen Niggel, wie geſagt, vor meinen Augen im Maul ſtocken geblieben. So viel Gewalt hat er uͤber die Leute, und ihm macht es nichts, aber hingegen iſt es doch fatal fuͤr unſere Ordnung, und kann uns ſehr ſchaden. Alles Gute iſt noch Nagelneu, der alte Sauerteig noch nichts weniger als todt, man braucht nur Waſſer dazu zu ſchuͤtten, ſo geht er in allen Ecken wieder auf. — Ich ſpuͤre alle Tage mehr, daß noch viele Leute, und dieſe noch von den erſten im Dorf ſind, die C 3

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/55>, abgerufen am 29.03.2024.