Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Der General aber ängstigte sich in seiner Stube
über den Kranken, und nahm einsmal den Ent-
schluß, gieng zu ihr in ihr Zimmer und sagte, sie
soll sich in Acht nehmen, der Vetter sey gar nicht
wohl, und er wolle nicht zwey Unglück, es sey ge-
nug an einem. -- Izt war sie aufs äußerste ge-
trieben, sie verlohr alle Mäßigung, trozte, und
sagte ihrem Wohlthäter, sie lasse nicht so mit sich
umgehen.

Du kränkst Niemand als alle Menschen, er-
wiedert' er, und gieng fort. --

Sie kehrte ihm den Rücken, noch ehe er hin-
aus war -- und er hatte kaum die Thüre be-
schlossen, so sagte sie zu Aglee -- ich frag ihm nichts
nach. -- Es war wirklich so -- die Renten, die er
ihr gab, waren izt versichert -- und mir nichts
und dir nichts -- sie frug ihm nichts nach, und
gieng ihm auf dem Fuß nach in Arners Zimmer,
spatzierte da hinein wie ein Pfau, oder wie eine
Tänzerin, und fragte den guten Kranken vom ge-
streckten Hals herab, mit verbissenem Maul -- die
Wörter gesezt, wie wenn sie die Buchstaben zählte
"Wie befinden Sie sich Vetter?" schwenkte dann,
ehe er ihr antworten konnte, hinter dem General
vorbey ans Fenster, und sah dann auf dem Gesimse
den blutigen Brief von Bonnal; Therese hatte ihn
gestern dahin gelegt, und vergessen ihn ins Pult zu

Der General aber aͤngſtigte ſich in ſeiner Stube
uͤber den Kranken, und nahm einsmal den Ent-
ſchluß, gieng zu ihr in ihr Zimmer und ſagte, ſie
ſoll ſich in Acht nehmen, der Vetter ſey gar nicht
wohl, und er wolle nicht zwey Ungluͤck, es ſey ge-
nug an einem. — Izt war ſie aufs aͤußerſte ge-
trieben, ſie verlohr alle Maͤßigung, trozte, und
ſagte ihrem Wohlthaͤter, ſie laſſe nicht ſo mit ſich
umgehen.

Du kraͤnkſt Niemand als alle Menſchen, er-
wiedert' er, und gieng fort. —

Sie kehrte ihm den Ruͤcken, noch ehe er hin-
aus war — und er hatte kaum die Thuͤre be-
ſchloſſen, ſo ſagte ſie zu Aglee — ich frag ihm nichts
nach. — Es war wirklich ſo — die Renten, die er
ihr gab, waren izt verſichert — und mir nichts
und dir nichts — ſie frug ihm nichts nach, und
gieng ihm auf dem Fuß nach in Arners Zimmer,
ſpatzierte da hinein wie ein Pfau, oder wie eine
Taͤnzerin, und fragte den guten Kranken vom ge-
ſtreckten Hals herab, mit verbiſſenem Maul — die
Woͤrter geſezt, wie wenn ſie die Buchſtaben zaͤhlte
„Wie befinden Sie ſich Vetter?„ ſchwenkte dann,
ehe er ihr antworten konnte, hinter dem General
vorbey ans Fenſter, und ſah dann auf dem Geſimſe
den blutigen Brief von Bonnal; Thereſe hatte ihn
geſtern dahin gelegt, und vergeſſen ihn ins Pult zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0070" n="52"/>
        <p>Der General aber a&#x0364;ng&#x017F;tigte &#x017F;ich in &#x017F;einer Stube<lb/>
u&#x0364;ber den Kranken, und nahm einsmal den Ent-<lb/>
&#x017F;chluß, gieng zu ihr in ihr Zimmer und &#x017F;agte, &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;oll &#x017F;ich in Acht nehmen, der Vetter &#x017F;ey gar nicht<lb/>
wohl, und er wolle nicht zwey Unglu&#x0364;ck, es &#x017F;ey ge-<lb/>
nug an einem. &#x2014; Izt war &#x017F;ie aufs a&#x0364;ußer&#x017F;te ge-<lb/>
trieben, &#x017F;ie verlohr alle Ma&#x0364;ßigung, trozte, und<lb/>
&#x017F;agte ihrem Wohltha&#x0364;ter, &#x017F;ie la&#x017F;&#x017F;e nicht &#x017F;o mit &#x017F;ich<lb/>
umgehen.</p><lb/>
        <p>Du kra&#x0364;nk&#x017F;t Niemand als alle Men&#x017F;chen, er-<lb/>
wiedert' er, und gieng fort. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Sie kehrte ihm den Ru&#x0364;cken, noch ehe er hin-<lb/>
aus war &#x2014; und er hatte kaum die Thu&#x0364;re be-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o &#x017F;agte &#x017F;ie zu Aglee &#x2014; ich frag ihm nichts<lb/>
nach. &#x2014; Es war wirklich &#x017F;o &#x2014; die Renten, die er<lb/>
ihr gab, waren izt ver&#x017F;ichert &#x2014; und mir nichts<lb/>
und dir nichts &#x2014; &#x017F;ie frug ihm nichts nach, und<lb/>
gieng ihm auf dem Fuß nach in Arners Zimmer,<lb/>
&#x017F;patzierte da hinein wie ein Pfau, oder wie eine<lb/>
Ta&#x0364;nzerin, und fragte den guten Kranken vom ge-<lb/>
&#x017F;treckten Hals herab, mit verbi&#x017F;&#x017F;enem Maul &#x2014; die<lb/>
Wo&#x0364;rter ge&#x017F;ezt, wie wenn &#x017F;ie die Buch&#x017F;taben za&#x0364;hlte<lb/>
&#x201E;Wie befinden Sie &#x017F;ich Vetter?&#x201E; &#x017F;chwenkte dann,<lb/>
ehe er ihr antworten konnte, hinter dem General<lb/>
vorbey ans Fen&#x017F;ter, und &#x017F;ah dann auf dem Ge&#x017F;im&#x017F;e<lb/>
den blutigen Brief von Bonnal; There&#x017F;e hatte ihn<lb/>
ge&#x017F;tern dahin gelegt, und verge&#x017F;&#x017F;en ihn ins Pult zu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0070] Der General aber aͤngſtigte ſich in ſeiner Stube uͤber den Kranken, und nahm einsmal den Ent- ſchluß, gieng zu ihr in ihr Zimmer und ſagte, ſie ſoll ſich in Acht nehmen, der Vetter ſey gar nicht wohl, und er wolle nicht zwey Ungluͤck, es ſey ge- nug an einem. — Izt war ſie aufs aͤußerſte ge- trieben, ſie verlohr alle Maͤßigung, trozte, und ſagte ihrem Wohlthaͤter, ſie laſſe nicht ſo mit ſich umgehen. Du kraͤnkſt Niemand als alle Menſchen, er- wiedert' er, und gieng fort. — Sie kehrte ihm den Ruͤcken, noch ehe er hin- aus war — und er hatte kaum die Thuͤre be- ſchloſſen, ſo ſagte ſie zu Aglee — ich frag ihm nichts nach. — Es war wirklich ſo — die Renten, die er ihr gab, waren izt verſichert — und mir nichts und dir nichts — ſie frug ihm nichts nach, und gieng ihm auf dem Fuß nach in Arners Zimmer, ſpatzierte da hinein wie ein Pfau, oder wie eine Taͤnzerin, und fragte den guten Kranken vom ge- ſtreckten Hals herab, mit verbiſſenem Maul — die Woͤrter geſezt, wie wenn ſie die Buchſtaben zaͤhlte „Wie befinden Sie ſich Vetter?„ ſchwenkte dann, ehe er ihr antworten konnte, hinter dem General vorbey ans Fenſter, und ſah dann auf dem Geſimſe den blutigen Brief von Bonnal; Thereſe hatte ihn geſtern dahin gelegt, und vergeſſen ihn ins Pult zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/70
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/70>, abgerufen am 28.03.2024.