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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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für einen Froschmäusler.
Zeit, mit den Regeln der Reimschmiede-Kunst
und kriechenden Poesie.
Voritzo aber will
nur soviel sagen: Exempla sunt odiosa!

28. Frage.
Gerathen nicht auch die Froschmäusler-Poe-
ten zuweilen so gut in eine
Ecstasin poeticam
und Enthusiasmum poeticum, oder poeti-
sche Entzückung, als wie ihre Gegner;
und wie differirt die poetische Enthusiaste-
rey vom poetischen Koller?
Antwort.

Die poetischen Träumer, wenn sie wachend
solche Dinge dichten, die einem kaum im Trau-
me einkommen, oder wenn sie solche Träume in
Reime zwingen, davon man ganz deutlich mer-
ken kann, daß es ihnen nur so geträumet, schrei-
ben ordentlich in Ecstasi poetica. Sie sind
auf den Helicon und Parnaß entzückt gewesen,
wo ihnen der Hypocrenen-Saft in den Kopf
gestiegen, und der Götter-Trank des Apollo
mit seinen neun Musen sie trunken gemacht.
Jn der poetischen Entzückung pflegt man auch
wol, weil ein anderer Affect, z. E. der Traurig-
keit, prädominiret, die liebsten Schooß-Kinder
übel anzulassen. So ist ja die Poesie ein Mi-
gnon
der Poeten; und doch schrieb jene poeti-
sche Feder in einem gewissen Trauer-Gedichte:

Verwünschte Dichter-Kunst! Verhaßte
Poesie!

Das arme Schooß-Kind, die Poesie, sahe ihre
Mutter mit Bestürzung über diesen Ausdruck

an;
H 2

fuͤr einen Froſchmaͤusler.
Zeit, mit den Regeln der Reimſchmiede-Kunſt
und kriechenden Poeſie.
Voritzo aber will
nur ſoviel ſagen: Exempla ſunt odioſa!

28. Frage.
Gerathen nicht auch die Froſchmaͤusler-Poe-
ten zuweilen ſo gut in eine
Ecſtaſin poëticam
und Enthuſiaſmum poëticum, oder poeti-
ſche Entzuͤckung, als wie ihre Gegner;
und wie differirt die poetiſche Enthuſiaſte-
rey vom poetiſchen Koller?
Antwort.

Die poetiſchen Traͤumer, wenn ſie wachend
ſolche Dinge dichten, die einem kaum im Trau-
me einkommen, oder wenn ſie ſolche Traͤume in
Reime zwingen, davon man ganz deutlich mer-
ken kann, daß es ihnen nur ſo getraͤumet, ſchrei-
ben ordentlich in Ecſtaſi poëtica. Sie ſind
auf den Helicon und Parnaß entzuͤckt geweſen,
wo ihnen der Hypocrenen-Saft in den Kopf
geſtiegen, und der Goͤtter-Trank des Apollo
mit ſeinen neun Muſen ſie trunken gemacht.
Jn der poetiſchen Entzuͤckung pflegt man auch
wol, weil ein anderer Affect, z. E. der Traurig-
keit, praͤdominiret, die liebſten Schooß-Kinder
uͤbel anzulaſſen. So iſt ja die Poeſie ein Mi-
gnon
der Poeten; und doch ſchrieb jene poeti-
ſche Feder in einem gewiſſen Trauer-Gedichte:

Verwuͤnſchte Dichter-Kunſt! Verhaßte
Poeſie!

Das arme Schooß-Kind, die Poeſie, ſahe ihre
Mutter mit Beſtuͤrzung uͤber dieſen Ausdruck

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[115/0123] fuͤr einen Froſchmaͤusler. Zeit, mit den Regeln der Reimſchmiede-Kunſt und kriechenden Poeſie. Voritzo aber will nur ſoviel ſagen: Exempla ſunt odioſa! 28. Frage. Gerathen nicht auch die Froſchmaͤusler-Poe- ten zuweilen ſo gut in eine Ecſtaſin poëticam und Enthuſiaſmum poëticum, oder poeti- ſche Entzuͤckung, als wie ihre Gegner; und wie differirt die poetiſche Enthuſiaſte- rey vom poetiſchen Koller? Antwort. Die poetiſchen Traͤumer, wenn ſie wachend ſolche Dinge dichten, die einem kaum im Trau- me einkommen, oder wenn ſie ſolche Traͤume in Reime zwingen, davon man ganz deutlich mer- ken kann, daß es ihnen nur ſo getraͤumet, ſchrei- ben ordentlich in Ecſtaſi poëtica. Sie ſind auf den Helicon und Parnaß entzuͤckt geweſen, wo ihnen der Hypocrenen-Saft in den Kopf geſtiegen, und der Goͤtter-Trank des Apollo mit ſeinen neun Muſen ſie trunken gemacht. Jn der poetiſchen Entzuͤckung pflegt man auch wol, weil ein anderer Affect, z. E. der Traurig- keit, praͤdominiret, die liebſten Schooß-Kinder uͤbel anzulaſſen. So iſt ja die Poeſie ein Mi- gnon der Poeten; und doch ſchrieb jene poeti- ſche Feder in einem gewiſſen Trauer-Gedichte: Verwuͤnſchte Dichter-Kunſt! Verhaßte Poeſie! Das arme Schooß-Kind, die Poeſie, ſahe ihre Mutter mit Beſtuͤrzung uͤber dieſen Ausdruck an; H 2

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/123>, abgerufen am 25.04.2024.