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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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III. Ein Ragout.
wollte: Der Herr gehe in den großen Jochims-
Thal,
da ist ein Tempel des guten Geschmacks;
anstatt zu sagen: Da ist ein guter Speise-Wirth,
ein guter Traiteur, ein guter Gast-Hof, ein
gut Speise-Haus; welches alles das kleinste
Kind verstehen würde. Diesemnach kann ich
den Ausdruck: Tempel des guten Geschmacks,
mit nichts anders, als einem Ragout von
Schöpsen- und Hasen-Fleisch, vergleichen.
Denn wie jedes, für sich gekocht, ganz gut schmeckt,
nachdem der Liebhaber ist, hingegen zahm und
Wildprets-Fleisch sich, nach den Regeln der
Koch-Kunst, nicht in eine Schüssel schickt: Al-
so ist der Ausdruck vom guten Geschmack ein
ganz feiner Begriff; desgleichen das Wort
Tempel, wenn es allein stehet, oder wenn der
ehemalige Hallische Redner D. P. sagte: Der
eröffnete Tempel der Ehren, der Tempel der
Vorsehung,
der Tempel der Venus, u. d. g.
Denn solche Redens-Arten sind durch den ein-
geführten Wörter-Brauch bereits völlig in
Anfnahme. Aber ein guter Geschmacks-Tem-
pel
steht in keinem Wörter-Buche, noch einem
einzigen guten Scribenten. Daher ist es ein
vollkommenes deutsches Ragout von widrigen
Speisen, als süßen und sauren, zahmem Fleisch
und Wildpret, gekochtem und gebratenem.
Es ist so viel, als wenn ich meinen Herren Gä-
sten wollte Rebhüner auftragen, und ringsher-
um gebratene Sperlinge, anstatt der Lerchen
oder Kramsvögel, legen. Daher hoffe ich

nicht,
R 5

III. Ein Ragout.
wollte: Der Herr gehe in den großen Jochims-
Thal,
da iſt ein Tempel des guten Geſchmacks;
anſtatt zu ſagen: Da iſt ein guter Speiſe-Wirth,
ein guter Traiteur, ein guter Gaſt-Hof, ein
gut Speiſe-Haus; welches alles das kleinſte
Kind verſtehen wuͤrde. Dieſemnach kann ich
den Ausdruck: Tempel des guten Geſchmacks,
mit nichts anders, als einem Ragout von
Schoͤpſen- und Haſen-Fleiſch, vergleichen.
Denn wie jedes, fuͤr ſich gekocht, ganz gut ſchmeckt,
nachdem der Liebhaber iſt, hingegen zahm und
Wildprets-Fleiſch ſich, nach den Regeln der
Koch-Kunſt, nicht in eine Schuͤſſel ſchickt: Al-
ſo iſt der Ausdruck vom guten Geſchmack ein
ganz feiner Begriff; desgleichen das Wort
Tempel, wenn es allein ſtehet, oder wenn der
ehemalige Halliſche Redner D. P. ſagte: Der
eroͤffnete Tempel der Ehren, der Tempel der
Vorſehung,
der Tempel der Venus, u. d. g.
Denn ſolche Redens-Arten ſind durch den ein-
gefuͤhrten Woͤrter-Brauch bereits voͤllig in
Anfnahme. Aber ein guter Geſchmacks-Tem-
pel
ſteht in keinem Woͤrter-Buche, noch einem
einzigen guten Scribenten. Daher iſt es ein
vollkommenes deutſches Ragout von widrigen
Speiſen, als ſuͤßen und ſauren, zahmem Fleiſch
und Wildpret, gekochtem und gebratenem.
Es iſt ſo viel, als wenn ich meinen Herren Gaͤ-
ſten wollte Rebhuͤner auftragen, und ringsher-
um gebratene Sperlinge, anſtatt der Lerchen
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nicht,
R 5
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[265/0273] III. Ein Ragout. wollte: Der Herr gehe in den großen Jochims- Thal, da iſt ein Tempel des guten Geſchmacks; anſtatt zu ſagen: Da iſt ein guter Speiſe-Wirth, ein guter Traiteur, ein guter Gaſt-Hof, ein gut Speiſe-Haus; welches alles das kleinſte Kind verſtehen wuͤrde. Dieſemnach kann ich den Ausdruck: Tempel des guten Geſchmacks, mit nichts anders, als einem Ragout von Schoͤpſen- und Haſen-Fleiſch, vergleichen. Denn wie jedes, fuͤr ſich gekocht, ganz gut ſchmeckt, nachdem der Liebhaber iſt, hingegen zahm und Wildprets-Fleiſch ſich, nach den Regeln der Koch-Kunſt, nicht in eine Schuͤſſel ſchickt: Al- ſo iſt der Ausdruck vom guten Geſchmack ein ganz feiner Begriff; desgleichen das Wort Tempel, wenn es allein ſtehet, oder wenn der ehemalige Halliſche Redner D. P. ſagte: Der eroͤffnete Tempel der Ehren, der Tempel der Vorſehung, der Tempel der Venus, u. d. g. Denn ſolche Redens-Arten ſind durch den ein- gefuͤhrten Woͤrter-Brauch bereits voͤllig in Anfnahme. Aber ein guter Geſchmacks-Tem- pel ſteht in keinem Woͤrter-Buche, noch einem einzigen guten Scribenten. Daher iſt es ein vollkommenes deutſches Ragout von widrigen Speiſen, als ſuͤßen und ſauren, zahmem Fleiſch und Wildpret, gekochtem und gebratenem. Es iſt ſo viel, als wenn ich meinen Herren Gaͤ- ſten wollte Rebhuͤner auftragen, und ringsher- um gebratene Sperlinge, anſtatt der Lerchen oder Kramsvoͤgel, legen. Daher hoffe ich nicht, R 5

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/273>, abgerufen am 28.03.2024.