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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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XVII. Gebratener Haasen.
Buchstaben über seinen Geschmacks-Tempel
setzen, oder denken, der Kuckuck rufe seinen
eigenen Namen aus. Denn er tadelt ja alle,
und schlägelt doch selber so unzählige mal;
daher gebe ihm seinen eigenen Einfall in opti-
ma juris forma
zurück: Und selbst zum Schrei-
ben noch zu jung, und selbst zum Tadel reif
genung.
Jn dem zweymaligen und selbst
liegt zwar so wenig Pathesis, als jener Pfarr
in dem Wörtlein idou, idou, ecce, ecce, siehe,
siehe,
suchte; doch mag es cum caeteris er-
roribus
durchwischen. Auch sagt man nicht
in reinem Deutsch: Der ist zum Tadel reif
genug,
wenn es so viel heissen soll, als: Der
ist selber tadelnswehrt.
Jedoch auch dieser
Soloecismus mag mit drein gehen, gleich dem
nächst drauf folgenden: Das sind des Witzes
Widersacher.
Mein! welcher Obersachse hat
so geredt: Der ist des Witzes Widersacher?
Jedoch propter rythmum sequentem konnte
der Widersacher nicht wegbleiben. Denn
der Schluß-Gedanke charmirte ihn gar zu
sehr, da er schreibet: Das sind des Phöbus
Lustigmacher,
und darauf reimt sich Wider-
sacher.
Nun frage ich alle Kenner der deut-
schen Sprache, was ein Lustigmacher des
Phöbus
vor ein Ding sey? Soll es heis-
sen: die so schwülstig schreiben, und doch
elende Gedanken dahinter verstecken, wie die
Phöbus-Redner thun: So hat er sich zwar

selber

XVII. Gebratener Haaſen.
Buchſtaben uͤber ſeinen Geſchmacks-Tempel
ſetzen, oder denken, der Kuckuck rufe ſeinen
eigenen Namen aus. Denn er tadelt ja alle,
und ſchlaͤgelt doch ſelber ſo unzaͤhlige mal;
daher gebe ihm ſeinen eigenen Einfall in opti-
ma juris forma
zuruͤck: Und ſelbſt zum Schrei-
ben noch zu jung, und ſelbſt zum Tadel reif
genung.
Jn dem zweymaligen und ſelbſt
liegt zwar ſo wenig Patheſis, als jener Pfarr
in dem Woͤrtlein ιδου, ιδου, ecce, ecce, ſiehe,
ſiehe,
ſuchte; doch mag es cum caeteris er-
roribus
durchwiſchen. Auch ſagt man nicht
in reinem Deutſch: Der iſt zum Tadel reif
genug,
wenn es ſo viel heiſſen ſoll, als: Der
iſt ſelber tadelnswehrt.
Jedoch auch dieſer
Solœciſmus mag mit drein gehen, gleich dem
naͤchſt drauf folgenden: Das ſind des Witzes
Widerſacher.
Mein! welcher Oberſachſe hat
ſo geredt: Der iſt des Witzes Widerſacher?
Jedoch propter rythmum ſequentem konnte
der Widerſacher nicht wegbleiben. Denn
der Schluß-Gedanke charmirte ihn gar zu
ſehr, da er ſchreibet: Das ſind des Phoͤbus
Luſtigmacher,
und darauf reimt ſich Wider-
ſacher.
Nun frage ich alle Kenner der deut-
ſchen Sprache, was ein Luſtigmacher des
Phoͤbus
vor ein Ding ſey? Soll es heiſ-
ſen: die ſo ſchwuͤlſtig ſchreiben, und doch
elende Gedanken dahinter verſtecken, wie die
Phoͤbus-Redner thun: So hat er ſich zwar

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[294/0302] XVII. Gebratener Haaſen. Buchſtaben uͤber ſeinen Geſchmacks-Tempel ſetzen, oder denken, der Kuckuck rufe ſeinen eigenen Namen aus. Denn er tadelt ja alle, und ſchlaͤgelt doch ſelber ſo unzaͤhlige mal; daher gebe ihm ſeinen eigenen Einfall in opti- ma juris forma zuruͤck: Und ſelbſt zum Schrei- ben noch zu jung, und ſelbſt zum Tadel reif genung. Jn dem zweymaligen und ſelbſt liegt zwar ſo wenig Patheſis, als jener Pfarr in dem Woͤrtlein ιδου, ιδου, ecce, ecce, ſiehe, ſiehe, ſuchte; doch mag es cum caeteris er- roribus durchwiſchen. Auch ſagt man nicht in reinem Deutſch: Der iſt zum Tadel reif genug, wenn es ſo viel heiſſen ſoll, als: Der iſt ſelber tadelnswehrt. Jedoch auch dieſer Solœciſmus mag mit drein gehen, gleich dem naͤchſt drauf folgenden: Das ſind des Witzes Widerſacher. Mein! welcher Oberſachſe hat ſo geredt: Der iſt des Witzes Widerſacher? Jedoch propter rythmum ſequentem konnte der Widerſacher nicht wegbleiben. Denn der Schluß-Gedanke charmirte ihn gar zu ſehr, da er ſchreibet: Das ſind des Phoͤbus Luſtigmacher, und darauf reimt ſich Wider- ſacher. Nun frage ich alle Kenner der deut- ſchen Sprache, was ein Luſtigmacher des Phoͤbus vor ein Ding ſey? Soll es heiſ- ſen: die ſo ſchwuͤlſtig ſchreiben, und doch elende Gedanken dahinter verſtecken, wie die Phoͤbus-Redner thun: So hat er ſich zwar ſelber

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/302>, abgerufen am 29.03.2024.