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Platen, August von: Die verhängnißvolle Gabel. Stuttgart u. a., 1826.

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Doch hoffe Keiner ohne tiefes Denken
Den ew'gen Stoff zur ew'gen Form zu bilden,
Und schwierig ist's, mit Würde sich zu fassen
Auf einem Stuhl, den Schiller leer gelassen.

Lernt erst das Edle kennen und erproben,
Und scheiden lernt den Schwätzer vom Propheten!
Wie lange wollt ihr diese Reimer loben,
Die fremdes Mehl, doch ohne Würze, kneten?
Verlangt ihr Großes, hebt den Blick nach Oben,
Denn nicht herunter steigen die Poeten,
Und selten wird euch schmeicheln ihre Strenge:
Die Kunst ist keine Dienerin der Menge.

Was frommt's dem Stümper, einen Kranz zu tragen,
Und wenn ihr brächtet ihn auf seidnem Kissen?
Im Innern muß ihn blos die Sorge nagen,
Ein so gemeines Haupt bekrönt zu wissen:
Wer Schönes bildet, kann dem Preis entsagen,
Er kann ein Land, das ihn verkennt, vermissen:
Wer Dichter ist in seiner Seele Tiefen,
Der fühlt von Lorbern seine Schläfe triefen!

Der Frühling kommt, ihr könnt es nicht verwehren;
Die Luft erquickt, ihr könnt sie nicht verschließen;
Der Vogel singt, ihr könnt ihn nicht belehren;
Die Rose blüht, es darf euch nicht verdrießen;
Und naht ein Dichter, eure Lust zu mehren,
So lernt ihn auch im vollsten Maß genießen,
Anstatt sein Thun beständig zu verneinen:
Was soll der Mond denn anders thun als scheinen?

Doch hoffe Keiner ohne tiefes Denken
Den ew'gen Stoff zur ew'gen Form zu bilden,
Und ſchwierig iſt's, mit Wuͤrde ſich zu faſſen
Auf einem Stuhl, den Schiller leer gelaſſen.

Lernt erſt das Edle kennen und erproben,
Und ſcheiden lernt den Schwaͤtzer vom Propheten!
Wie lange wollt ihr dieſe Reimer loben,
Die fremdes Mehl, doch ohne Wuͤrze, kneten?
Verlangt ihr Großes, hebt den Blick nach Oben,
Denn nicht herunter ſteigen die Poeten,
Und ſelten wird euch ſchmeicheln ihre Strenge:
Die Kunſt iſt keine Dienerin der Menge.

Was frommt's dem Stuͤmper, einen Kranz zu tragen,
Und wenn ihr braͤchtet ihn auf ſeidnem Kiſſen?
Im Innern muß ihn blos die Sorge nagen,
Ein ſo gemeines Haupt bekroͤnt zu wiſſen:
Wer Schoͤnes bildet, kann dem Preis entſagen,
Er kann ein Land, das ihn verkennt, vermiſſen:
Wer Dichter iſt in ſeiner Seele Tiefen,
Der fuͤhlt von Lorbern ſeine Schlaͤfe triefen!

Der Fruͤhling kommt, ihr koͤnnt es nicht verwehren;
Die Luft erquickt, ihr koͤnnt ſie nicht verſchließen;
Der Vogel ſingt, ihr koͤnnt ihn nicht belehren;
Die Roſe bluͤht, es darf euch nicht verdrießen;
Und naht ein Dichter, eure Luſt zu mehren,
So lernt ihn auch im vollſten Maß genießen,
Anſtatt ſein Thun beſtaͤndig zu verneinen:
Was ſoll der Mond denn anders thun als ſcheinen?

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[56/0062] Doch hoffe Keiner ohne tiefes Denken Den ew'gen Stoff zur ew'gen Form zu bilden, Und ſchwierig iſt's, mit Wuͤrde ſich zu faſſen Auf einem Stuhl, den Schiller leer gelaſſen. Lernt erſt das Edle kennen und erproben, Und ſcheiden lernt den Schwaͤtzer vom Propheten! Wie lange wollt ihr dieſe Reimer loben, Die fremdes Mehl, doch ohne Wuͤrze, kneten? Verlangt ihr Großes, hebt den Blick nach Oben, Denn nicht herunter ſteigen die Poeten, Und ſelten wird euch ſchmeicheln ihre Strenge: Die Kunſt iſt keine Dienerin der Menge. Was frommt's dem Stuͤmper, einen Kranz zu tragen, Und wenn ihr braͤchtet ihn auf ſeidnem Kiſſen? Im Innern muß ihn blos die Sorge nagen, Ein ſo gemeines Haupt bekroͤnt zu wiſſen: Wer Schoͤnes bildet, kann dem Preis entſagen, Er kann ein Land, das ihn verkennt, vermiſſen: Wer Dichter iſt in ſeiner Seele Tiefen, Der fuͤhlt von Lorbern ſeine Schlaͤfe triefen! Der Fruͤhling kommt, ihr koͤnnt es nicht verwehren; Die Luft erquickt, ihr koͤnnt ſie nicht verſchließen; Der Vogel ſingt, ihr koͤnnt ihn nicht belehren; Die Roſe bluͤht, es darf euch nicht verdrießen; Und naht ein Dichter, eure Luſt zu mehren, So lernt ihn auch im vollſten Maß genießen, Anſtatt ſein Thun beſtaͤndig zu verneinen: Was ſoll der Mond denn anders thun als ſcheinen?

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Zitationshilfe: Platen, August von: Die verhängnißvolle Gabel. Stuttgart u. a., 1826, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gabel_1826/62>, abgerufen am 19.04.2024.