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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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gründen Wollende, der geistige Chemiker, dem ein
scheinbar festes Gebäude nach dem andern einstürzt,
der kann -- bis es ihm nicht durch die allgöttliche
Kraft gelungen, ein inneres Unzerstörbares aufzu-
richten *), und soweit ist Hamlet offenbar noch nicht
gekommen, -- der allein, sage ich, kann nicht
mehr beten
, denn der Gegenstand fehlt ihm. Er
kann sich's nicht mehr ableugnen, er spielt, indem er
betet, nur Comödie mit sich selbst.

Dies ist ein schlimmer Durchgang, den diejenigen
am armen Menschen verschulden, welche schon das

*) Wie geschieht dies? doch wohl nur, wenn man endlich er-
kennt: daß Religion einzig und allein Sache des Herzens
und Gefühls ist, wozu der Kopf nur taugt, um gleichsam
als Wächter vor dem Heiligthume zu stehen, und es mit
dem Schwerdte der Vernunst vor seinen Erbfeinden zu be-
wahren, dem Aberglauben und der Unduldsamkeit. Be-
gnügt er sich damit nicht, und will er begreifen lernen,
was seiner Natur nach für uns unbegreiflich ist, so muß er
jedesmal auf Abwege gerathen, er nehme nun seine Zu-
flucht zu einer sogenannten positiven Religion, oder einem
Systeme speculativer Philosophie. Beide befriedigen nicht,
sobald man mehr als ein interessantes Spiel der Phan-
tasie
, oder des Verstandes, daraus machen will --
während das innere angeborne Gefühl Gottes, der Liebe
und des Guten in jeder gesunden Geistesstunde, dem
Niedrigsten an Geistesfähigkeit, wie dem Höchsten mit glei-
cher, unumstößlicher Sicherheit nicht nur als Glaube, son-
dern als die wahre Essenz seines Wesens, sein eigentliches
Ich klar wird, ohne daß dabei weder Vernunft noch Ver-
stand unmittelbar thätig zu werden brauchen, wenn gleich
beide dasselbe, bei eintretender Reflexion, bestätigen müssen.
A. d. H.

gründen Wollende, der geiſtige Chemiker, dem ein
ſcheinbar feſtes Gebäude nach dem andern einſtürzt,
der kann — bis es ihm nicht durch die allgöttliche
Kraft gelungen, ein inneres Unzerſtörbares aufzu-
richten *), und ſoweit iſt Hamlet offenbar noch nicht
gekommen, — der allein, ſage ich, kann nicht
mehr beten
, denn der Gegenſtand fehlt ihm. Er
kann ſich’s nicht mehr ableugnen, er ſpielt, indem er
betet, nur Comödie mit ſich ſelbſt.

Dies iſt ein ſchlimmer Durchgang, den diejenigen
am armen Menſchen verſchulden, welche ſchon das

*) Wie geſchieht dies? doch wohl nur, wenn man endlich er-
kennt: daß Religion einzig und allein Sache des Herzens
und Gefuͤhls iſt, wozu der Kopf nur taugt, um gleichſam
als Waͤchter vor dem Heiligthume zu ſtehen, und es mit
dem Schwerdte der Vernunſt vor ſeinen Erbfeinden zu be-
wahren, dem Aberglauben und der Unduldſamkeit. Be-
gnuͤgt er ſich damit nicht, und will er begreifen lernen,
was ſeiner Natur nach fuͤr uns unbegreiflich iſt, ſo muß er
jedesmal auf Abwege gerathen, er nehme nun ſeine Zu-
flucht zu einer ſogenannten poſitiven Religion, oder einem
Syſteme ſpeculativer Philoſophie. Beide befriedigen nicht,
ſobald man mehr als ein intereſſantes Spiel der Phan-
taſie
, oder des Verſtandes, daraus machen will —
waͤhrend das innere angeborne Gefuͤhl Gottes, der Liebe
und des Guten in jeder geſunden Geiſtesſtunde, dem
Niedrigſten an Geiſtesfaͤhigkeit, wie dem Hoͤchſten mit glei-
cher, unumſtoͤßlicher Sicherheit nicht nur als Glaube, ſon-
dern als die wahre Eſſenz ſeines Weſens, ſein eigentliches
Ich klar wird, ohne daß dabei weder Vernunft noch Ver-
ſtand unmittelbar thaͤtig zu werden brauchen, wenn gleich
beide daſſelbe, bei eintretender Reflexion, beſtaͤtigen muͤſſen.
A. d. H.
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[166/0210] gründen Wollende, der geiſtige Chemiker, dem ein ſcheinbar feſtes Gebäude nach dem andern einſtürzt, der kann — bis es ihm nicht durch die allgöttliche Kraft gelungen, ein inneres Unzerſtörbares aufzu- richten *), und ſoweit iſt Hamlet offenbar noch nicht gekommen, — der allein, ſage ich, kann nicht mehr beten, denn der Gegenſtand fehlt ihm. Er kann ſich’s nicht mehr ableugnen, er ſpielt, indem er betet, nur Comödie mit ſich ſelbſt. Dies iſt ein ſchlimmer Durchgang, den diejenigen am armen Menſchen verſchulden, welche ſchon das *) Wie geſchieht dies? doch wohl nur, wenn man endlich er- kennt: daß Religion einzig und allein Sache des Herzens und Gefuͤhls iſt, wozu der Kopf nur taugt, um gleichſam als Waͤchter vor dem Heiligthume zu ſtehen, und es mit dem Schwerdte der Vernunſt vor ſeinen Erbfeinden zu be- wahren, dem Aberglauben und der Unduldſamkeit. Be- gnuͤgt er ſich damit nicht, und will er begreifen lernen, was ſeiner Natur nach fuͤr uns unbegreiflich iſt, ſo muß er jedesmal auf Abwege gerathen, er nehme nun ſeine Zu- flucht zu einer ſogenannten poſitiven Religion, oder einem Syſteme ſpeculativer Philoſophie. Beide befriedigen nicht, ſobald man mehr als ein intereſſantes Spiel der Phan- taſie, oder des Verſtandes, daraus machen will — waͤhrend das innere angeborne Gefuͤhl Gottes, der Liebe und des Guten in jeder geſunden Geiſtesſtunde, dem Niedrigſten an Geiſtesfaͤhigkeit, wie dem Hoͤchſten mit glei- cher, unumſtoͤßlicher Sicherheit nicht nur als Glaube, ſon- dern als die wahre Eſſenz ſeines Weſens, ſein eigentliches Ich klar wird, ohne daß dabei weder Vernunft noch Ver- ſtand unmittelbar thaͤtig zu werden brauchen, wenn gleich beide daſſelbe, bei eintretender Reflexion, beſtaͤtigen muͤſſen. A. d. H.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/210>, abgerufen am 28.03.2024.