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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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Noch mehr zog mich das zweite: Judith, angeb-
lich von Cigoli, an, einem Maler, von dem ich mich
früher nicht erinnere, ein Bild gesehen zu haben. Ge-
wöhnlich ist dieser Gegenstand: die triumphirende
Jungfrau mit dem abgehauenen verzerrten Kopf in
der Hand, mir eher widerlich als angenehm gewesen
-- hier aber -- welcher poetisch aufgefaßte Ausdruck
in Judiths gleich erhabnem und reizenden Antlitz.
Eine Welt von Empfindungen liegt in diesen inhalts-
schweren Zügen. Es ist nicht das Gesicht einer
Jungfrau mehr, sondern schon das einer jungendli-
chen Frau. In den feuchten, schwimmenden Au-
gen sind zu deutliche Spuren der Vergangenheit zu
lesen, und um den üppig schwellenden, noch wie ent-
zückten Mund, verräth ein leises Beben, daß sie,
wenn gleich wider ihren Willen, doch die Lust kennen
gelernt! -- Stärker aber war im Geiste ihre Liebe
zu Gott und Vaterland, und darum blieb fest ihr
früherer Entschluß. Das Opfer mußte dennoch fallen,
aber kein Triumph hebt ihre Brust -- sinnend,
über Gedanken brütend, die ihr selbst nicht ganz
klar seyn mögen, schreitet sie dahin, die zarte Hand
krampfhaft in die Locken des furchtbaren, aber männ-
lich schönen Hauptes gedrückt, das sie jetzt, wie be-
wußtlos, mit sich fortträgt.

Ich merke mir alle diese schönen Gemälde wohl,
um sie einmal copiren lassen zu können, wenn ich
Muße dazu habe, denn gute Copien so herrlicher
Bilder
ziehe ich weit den mittelmäßigen, oder mich
nicht ansprechenden Originalen vor, selbst wenn die

Noch mehr zog mich das zweite: Judith, angeb-
lich von Cigoli, an, einem Maler, von dem ich mich
früher nicht erinnere, ein Bild geſehen zu haben. Ge-
wöhnlich iſt dieſer Gegenſtand: die triumphirende
Jungfrau mit dem abgehauenen verzerrten Kopf in
der Hand, mir eher widerlich als angenehm geweſen
— hier aber — welcher poetiſch aufgefaßte Ausdruck
in Judiths gleich erhabnem und reizenden Antlitz.
Eine Welt von Empfindungen liegt in dieſen inhalts-
ſchweren Zügen. Es iſt nicht das Geſicht einer
Jungfrau mehr, ſondern ſchon das einer jungendli-
chen Frau. In den feuchten, ſchwimmenden Au-
gen ſind zu deutliche Spuren der Vergangenheit zu
leſen, und um den üppig ſchwellenden, noch wie ent-
zückten Mund, verräth ein leiſes Beben, daß ſie,
wenn gleich wider ihren Willen, doch die Luſt kennen
gelernt! — Stärker aber war im Geiſte ihre Liebe
zu Gott und Vaterland, und darum blieb feſt ihr
früherer Entſchluß. Das Opfer mußte dennoch fallen,
aber kein Triumph hebt ihre Bruſt — ſinnend,
über Gedanken brütend, die ihr ſelbſt nicht ganz
klar ſeyn mögen, ſchreitet ſie dahin, die zarte Hand
krampfhaft in die Locken des furchtbaren, aber männ-
lich ſchönen Hauptes gedrückt, das ſie jetzt, wie be-
wußtlos, mit ſich fortträgt.

Ich merke mir alle dieſe ſchönen Gemälde wohl,
um ſie einmal copiren laſſen zu können, wenn ich
Muße dazu habe, denn gute Copien ſo herrlicher
Bilder
ziehe ich weit den mittelmäßigen, oder mich
nicht anſprechenden Originalen vor, ſelbſt wenn die

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[270/0316] Noch mehr zog mich das zweite: Judith, angeb- lich von Cigoli, an, einem Maler, von dem ich mich früher nicht erinnere, ein Bild geſehen zu haben. Ge- wöhnlich iſt dieſer Gegenſtand: die triumphirende Jungfrau mit dem abgehauenen verzerrten Kopf in der Hand, mir eher widerlich als angenehm geweſen — hier aber — welcher poetiſch aufgefaßte Ausdruck in Judiths gleich erhabnem und reizenden Antlitz. Eine Welt von Empfindungen liegt in dieſen inhalts- ſchweren Zügen. Es iſt nicht das Geſicht einer Jungfrau mehr, ſondern ſchon das einer jungendli- chen Frau. In den feuchten, ſchwimmenden Au- gen ſind zu deutliche Spuren der Vergangenheit zu leſen, und um den üppig ſchwellenden, noch wie ent- zückten Mund, verräth ein leiſes Beben, daß ſie, wenn gleich wider ihren Willen, doch die Luſt kennen gelernt! — Stärker aber war im Geiſte ihre Liebe zu Gott und Vaterland, und darum blieb feſt ihr früherer Entſchluß. Das Opfer mußte dennoch fallen, aber kein Triumph hebt ihre Bruſt — ſinnend, über Gedanken brütend, die ihr ſelbſt nicht ganz klar ſeyn mögen, ſchreitet ſie dahin, die zarte Hand krampfhaft in die Locken des furchtbaren, aber männ- lich ſchönen Hauptes gedrückt, das ſie jetzt, wie be- wußtlos, mit ſich fortträgt. Ich merke mir alle dieſe ſchönen Gemälde wohl, um ſie einmal copiren laſſen zu können, wenn ich Muße dazu habe, denn gute Copien ſo herrlicher Bilder ziehe ich weit den mittelmäßigen, oder mich nicht anſprechenden Originalen vor, ſelbſt wenn die

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/316>, abgerufen am 29.03.2024.