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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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Ruh, das Wetter hellte sich ganz auf, und der Mond
stieg klar und glänzend über den Wassern empor.
Jetzt wandte ich mein Roß von den Hügeln herab
dem Meere zu, und ritt die 5 bis 6 Meilen, die ich
noch von Brighton entfernt seyn mochte, hart am
Rande der Wellen auf dem sandigen Strande nach
Brighton zurück. Die Fluth war eben im Beginnen,
und mein Pferd machte zuweilen einen Seitensprung,
wenn, mit weißem Schaum gekrönt, eine Woge un-
ter ihm durchrollte, und schnell wieder, wie mit uns
spielend, zurückfuhr.

Ich liebe nichts mehr, als bei Mondschein einsam
am öden Meeresufer zu reiten, einsam mit dem Plät-
schern und Rauschen und Sausen der Wellen, so nahe
der geheimnißvollen Tiefe, so schauerlich, daß selbst die
Pferde nur mit Gewalt sich an der Fluth halten las-
sen, und vom Instinkt geleitet, sobald man sie ablenkt,
mit verdoppelter Schnelligkeit dem sichern festen Lande
zueilen.

Wie verschieden von dieser poetischen Scene der
prosaische Ball! der überdieß meiner Erwartung so
wenig entsprach, daß ich darüber erstaunte. Eine
enge Treppe führte zum Lokale hinauf, und ohne
Vorzimmer, kam man unmittelbar in einen schlecht
erleuchteten, und höchst ärmlich meublirten Saal,
um welchen rund umher eine Gallerie von wollenen
Stricken gezogen war, die Tanzenden von den Zu-
schauern zu trennen. Eine Tribune für die Musik
war so ungeschickt mit schlecht gewaschenem Weißzeuge

Ruh, das Wetter hellte ſich ganz auf, und der Mond
ſtieg klar und glänzend über den Waſſern empor.
Jetzt wandte ich mein Roß von den Hügeln herab
dem Meere zu, und ritt die 5 bis 6 Meilen, die ich
noch von Brighton entfernt ſeyn mochte, hart am
Rande der Wellen auf dem ſandigen Strande nach
Brighton zurück. Die Fluth war eben im Beginnen,
und mein Pferd machte zuweilen einen Seitenſprung,
wenn, mit weißem Schaum gekrönt, eine Woge un-
ter ihm durchrollte, und ſchnell wieder, wie mit uns
ſpielend, zurückfuhr.

Ich liebe nichts mehr, als bei Mondſchein einſam
am öden Meeresufer zu reiten, einſam mit dem Plät-
ſchern und Rauſchen und Sauſen der Wellen, ſo nahe
der geheimnißvollen Tiefe, ſo ſchauerlich, daß ſelbſt die
Pferde nur mit Gewalt ſich an der Fluth halten laſ-
ſen, und vom Inſtinkt geleitet, ſobald man ſie ablenkt,
mit verdoppelter Schnelligkeit dem ſichern feſten Lande
zueilen.

Wie verſchieden von dieſer poetiſchen Scene der
proſaiſche Ball! der überdieß meiner Erwartung ſo
wenig entſprach, daß ich darüber erſtaunte. Eine
enge Treppe führte zum Lokale hinauf, und ohne
Vorzimmer, kam man unmittelbar in einen ſchlecht
erleuchteten, und höchſt ärmlich meublirten Saal,
um welchen rund umher eine Gallerie von wollenen
Stricken gezogen war, die Tanzenden von den Zu-
ſchauern zu trennen. Eine Tribune für die Muſik
war ſo ungeſchickt mit ſchlecht gewaſchenem Weißzeuge

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[354/0400] Ruh, das Wetter hellte ſich ganz auf, und der Mond ſtieg klar und glänzend über den Waſſern empor. Jetzt wandte ich mein Roß von den Hügeln herab dem Meere zu, und ritt die 5 bis 6 Meilen, die ich noch von Brighton entfernt ſeyn mochte, hart am Rande der Wellen auf dem ſandigen Strande nach Brighton zurück. Die Fluth war eben im Beginnen, und mein Pferd machte zuweilen einen Seitenſprung, wenn, mit weißem Schaum gekrönt, eine Woge un- ter ihm durchrollte, und ſchnell wieder, wie mit uns ſpielend, zurückfuhr. Ich liebe nichts mehr, als bei Mondſchein einſam am öden Meeresufer zu reiten, einſam mit dem Plät- ſchern und Rauſchen und Sauſen der Wellen, ſo nahe der geheimnißvollen Tiefe, ſo ſchauerlich, daß ſelbſt die Pferde nur mit Gewalt ſich an der Fluth halten laſ- ſen, und vom Inſtinkt geleitet, ſobald man ſie ablenkt, mit verdoppelter Schnelligkeit dem ſichern feſten Lande zueilen. Wie verſchieden von dieſer poetiſchen Scene der proſaiſche Ball! der überdieß meiner Erwartung ſo wenig entſprach, daß ich darüber erſtaunte. Eine enge Treppe führte zum Lokale hinauf, und ohne Vorzimmer, kam man unmittelbar in einen ſchlecht erleuchteten, und höchſt ärmlich meublirten Saal, um welchen rund umher eine Gallerie von wollenen Stricken gezogen war, die Tanzenden von den Zu- ſchauern zu trennen. Eine Tribune für die Muſik war ſo ungeſchickt mit ſchlecht gewaſchenem Weißzeuge

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/400>, abgerufen am 25.04.2024.