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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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tönt, wenn man sich nur nicht positive Baumwolle
hereinsteckt, um ihn nicht zu vernehmen *).

Auch die Predigt, welche ich vernahm, war, ob-
gleich vorher ausgearbeitet, und abgelesen, doch ganz
versteinert und gehaltlos. Prediger könnten wohl im
Allgemeinen viel wohlthuender wirken, wenn sie den
Schlendrian verließen, immer nur Themata aus der
Bibel zu wählen, und diese lieber aus dem lokalen
Leben und der menschlichen Gesellschaft entnähmen,
überhaupt statt Dogmatik, die jedem Menschen in-

*) Mein seliger Freund war immer von einer Art fixen Idee
eingenommen, daß eine neue Kirche im Anzuge sey. Wie
Schade, daß er nicht erlebt hat, was sich jetzt gestaltet,
denn eben lese ich in der allgemeinen Zeitung folgende tröst-
liche Annonce:
An die Unbekannten.
"In diesen Blättern, höre ich, haben harte Reden wi-
der mich und die Neue Kirche gestanden. Schlaget mich,
meine Lieben, aber hört; hier nur ein Wort, um vor der
Sünde zu warnen! Noch einmal, es naht uns, mehr und
mehr die Hülle lüftend, eine Herrlichkeit, welche Menschen-
zunge nicht ausspricht, und Menschengeist nur allmählig
ahnt. Fassen wir doch kaum, daß Alles neu werden mag:
wie faßten wir so jählings ein neues All? Hitzig aber auf
die Vorhut fallen, und gar das Banner beschimpfen, ist
nicht rathsam, bevor wir die Schaaren kennen, welche na-
hen, und die Mächtigen, welchen sie vorausziehen: lieber
Bruder, wie wäre Dir, wenn Du, Schmähung noch im
Munde, ihn erkenntest? Er kommt zu einer Stunde, da
ihr nicht meinet."
Das ist viel -- nicht nur alles Alte neu, sondern selbst
ein neues Alt! Wahrlich, mehr kann kein Billiger verlan-
gen. Nur ein Schelm giebt mehr, als er hat.
A. d. H.

tönt, wenn man ſich nur nicht poſitive Baumwolle
hereinſteckt, um ihn nicht zu vernehmen *).

Auch die Predigt, welche ich vernahm, war, ob-
gleich vorher ausgearbeitet, und abgeleſen, doch ganz
verſteinert und gehaltlos. Prediger könnten wohl im
Allgemeinen viel wohlthuender wirken, wenn ſie den
Schlendrian verließen, immer nur Themata aus der
Bibel zu wählen, und dieſe lieber aus dem lokalen
Leben und der menſchlichen Geſellſchaft entnähmen,
überhaupt ſtatt Dogmatik, die jedem Menſchen in-

*) Mein ſeliger Freund war immer von einer Art fixen Idee
eingenommen, daß eine neue Kirche im Anzuge ſey. Wie
Schade, daß er nicht erlebt hat, was ſich jetzt geſtaltet,
denn eben leſe ich in der allgemeinen Zeitung folgende troͤſt-
liche Annonce:
An die Unbekannten.
„In dieſen Blaͤttern, hoͤre ich, haben harte Reden wi-
der mich und die Neue Kirche geſtanden. Schlaget mich,
meine Lieben, aber hoͤrt; hier nur ein Wort, um vor der
Suͤnde zu warnen! Noch einmal, es naht uns, mehr und
mehr die Huͤlle luͤftend, eine Herrlichkeit, welche Menſchen-
zunge nicht ausſpricht, und Menſchengeiſt nur allmaͤhlig
ahnt. Faſſen wir doch kaum, daß Alles neu werden mag:
wie faßten wir ſo jaͤhlings ein neues All? Hitzig aber auf
die Vorhut fallen, und gar das Banner beſchimpfen, iſt
nicht rathſam, bevor wir die Schaaren kennen, welche na-
hen, und die Maͤchtigen, welchen ſie vorausziehen: lieber
Bruder, wie waͤre Dir, wenn Du, Schmaͤhung noch im
Munde, ihn erkennteſt? Er kommt zu einer Stunde, da
ihr nicht meinet.“
Das iſt viel — nicht nur alles Alte neu, ſondern ſelbſt
ein neues Alt! Wahrlich, mehr kann kein Billiger verlan-
gen. Nur ein Schelm giebt mehr, als er hat.
A. d. H.
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[365/0411] tönt, wenn man ſich nur nicht poſitive Baumwolle hereinſteckt, um ihn nicht zu vernehmen *). Auch die Predigt, welche ich vernahm, war, ob- gleich vorher ausgearbeitet, und abgeleſen, doch ganz verſteinert und gehaltlos. Prediger könnten wohl im Allgemeinen viel wohlthuender wirken, wenn ſie den Schlendrian verließen, immer nur Themata aus der Bibel zu wählen, und dieſe lieber aus dem lokalen Leben und der menſchlichen Geſellſchaft entnähmen, überhaupt ſtatt Dogmatik, die jedem Menſchen in- *) Mein ſeliger Freund war immer von einer Art fixen Idee eingenommen, daß eine neue Kirche im Anzuge ſey. Wie Schade, daß er nicht erlebt hat, was ſich jetzt geſtaltet, denn eben leſe ich in der allgemeinen Zeitung folgende troͤſt- liche Annonce: An die Unbekannten. „In dieſen Blaͤttern, hoͤre ich, haben harte Reden wi- der mich und die Neue Kirche geſtanden. Schlaget mich, meine Lieben, aber hoͤrt; hier nur ein Wort, um vor der Suͤnde zu warnen! Noch einmal, es naht uns, mehr und mehr die Huͤlle luͤftend, eine Herrlichkeit, welche Menſchen- zunge nicht ausſpricht, und Menſchengeiſt nur allmaͤhlig ahnt. Faſſen wir doch kaum, daß Alles neu werden mag: wie faßten wir ſo jaͤhlings ein neues All? Hitzig aber auf die Vorhut fallen, und gar das Banner beſchimpfen, iſt nicht rathſam, bevor wir die Schaaren kennen, welche na- hen, und die Maͤchtigen, welchen ſie vorausziehen: lieber Bruder, wie waͤre Dir, wenn Du, Schmaͤhung noch im Munde, ihn erkennteſt? Er kommt zu einer Stunde, da ihr nicht meinet.“ Das iſt viel — nicht nur alles Alte neu, ſondern ſelbſt ein neues Alt! Wahrlich, mehr kann kein Billiger verlan- gen. Nur ein Schelm giebt mehr, als er hat. A. d. H.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/411>, abgerufen am 29.03.2024.