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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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fände, wahrscheinlich wieder wegfahren. Mir fiel bei
diesem seltsamen Geschmack lebhaft Potiers un ci-de-
vant jeune homme
ein, wenn er bei seinem Schnei-
der einen Pantalon bestellt, der extraordinairement
collant
seyn soll, und als der Kleiderkünstler schon
geht, ihn noch einmal mit den Worten zurückruft:
"Entendez vous, extraordinairement collant, si j'y
entre je ne le prends pas."
Dasselbe könnte ein
Dandy von einem hiesigen rout sagen: "Si j'y entre
je n'y vais pas."

Ist man aber nun einmal herein, so muß man
gestehen, daß man nirgends eine größere Menge
hübscher Mädchen sieht, und malgre bongre an sie
gedrückt wird, als hier. Sie werden jetzt meistens
einige Jahre in Frankreich erzogen, und zeichnen sich
dann durch bessere Toilette und Tournüre aus. Sehr
viele davon sprechen deutsch. Man bekommt so viel
Einladungen zu dergleichen Soireen, als man will;
aber man könnte auch als ganz Fremder und Unein-
geladener eben so gut hingehen, denn wer nicht lange
bleibt, bekömmt ohnedieß die Wirthe nicht zu sehen,
und gewiß kennen diese nicht die Hälfte der Anwe-
senden. Um 1 Uhr wird immer ein sehr recherchir-
tes kaltes Soupe mit force Champagne servirt. Das
Lokal dazu ist in der Regel die Bedientenstube un-
ten, und der Tisch faßt natürlich kaum zwanzig Per-
sonen auf einmal, die sich dann Truppweise nach
einander die schmale Treppe hinunter winden und
stoßen. Sitzt man endlich, so kann man sich aus-
ruhen, und Manche benutzen dies mit sehr wenig

fände, wahrſcheinlich wieder wegfahren. Mir fiel bei
dieſem ſeltſamen Geſchmack lebhaft Potiers un ci-de-
vant jeune homme
ein, wenn er bei ſeinem Schnei-
der einen Pantalon beſtellt, der extraordinairement
collant
ſeyn ſoll, und als der Kleiderkünſtler ſchon
geht, ihn noch einmal mit den Worten zurückruft:
„Entendez vous, extraordinairement collant, si j’y
entre je ne le prends pas.“
Daſſelbe könnte ein
Dandy von einem hieſigen rout ſagen: „Si j’y entre
je n’y vais pas.“

Iſt man aber nun einmal herein, ſo muß man
geſtehen, daß man nirgends eine größere Menge
hübſcher Mädchen ſieht, und malgré bongré an ſie
gedrückt wird, als hier. Sie werden jetzt meiſtens
einige Jahre in Frankreich erzogen, und zeichnen ſich
dann durch beſſere Toilette und Tournüre aus. Sehr
viele davon ſprechen deutſch. Man bekommt ſo viel
Einladungen zu dergleichen Soiréen, als man will;
aber man könnte auch als ganz Fremder und Unein-
geladener eben ſo gut hingehen, denn wer nicht lange
bleibt, bekömmt ohnedieß die Wirthe nicht zu ſehen,
und gewiß kennen dieſe nicht die Hälfte der Anwe-
ſenden. Um 1 Uhr wird immer ein ſehr recherchir-
tes kaltes Soupé mit force Champagne ſervirt. Das
Lokal dazu iſt in der Regel die Bedientenſtube un-
ten, und der Tiſch faßt natürlich kaum zwanzig Per-
ſonen auf einmal, die ſich dann Truppweiſe nach
einander die ſchmale Treppe hinunter winden und
ſtoßen. Sitzt man endlich, ſo kann man ſich aus-
ruhen, und Manche benutzen dies mit ſehr wenig

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[373/0419] fände, wahrſcheinlich wieder wegfahren. Mir fiel bei dieſem ſeltſamen Geſchmack lebhaft Potiers un ci-de- vant jeune homme ein, wenn er bei ſeinem Schnei- der einen Pantalon beſtellt, der extraordinairement collant ſeyn ſoll, und als der Kleiderkünſtler ſchon geht, ihn noch einmal mit den Worten zurückruft: „Entendez vous, extraordinairement collant, si j’y entre je ne le prends pas.“ Daſſelbe könnte ein Dandy von einem hieſigen rout ſagen: „Si j’y entre je n’y vais pas.“ Iſt man aber nun einmal herein, ſo muß man geſtehen, daß man nirgends eine größere Menge hübſcher Mädchen ſieht, und malgré bongré an ſie gedrückt wird, als hier. Sie werden jetzt meiſtens einige Jahre in Frankreich erzogen, und zeichnen ſich dann durch beſſere Toilette und Tournüre aus. Sehr viele davon ſprechen deutſch. Man bekommt ſo viel Einladungen zu dergleichen Soiréen, als man will; aber man könnte auch als ganz Fremder und Unein- geladener eben ſo gut hingehen, denn wer nicht lange bleibt, bekömmt ohnedieß die Wirthe nicht zu ſehen, und gewiß kennen dieſe nicht die Hälfte der Anwe- ſenden. Um 1 Uhr wird immer ein ſehr recherchir- tes kaltes Soupé mit force Champagne ſervirt. Das Lokal dazu iſt in der Regel die Bedientenſtube un- ten, und der Tiſch faßt natürlich kaum zwanzig Per- ſonen auf einmal, die ſich dann Truppweiſe nach einander die ſchmale Treppe hinunter winden und ſtoßen. Sitzt man endlich, ſo kann man ſich aus- ruhen, und Manche benutzen dies mit ſehr wenig

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/419>, abgerufen am 23.04.2024.