Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

mußte aber noch eine halbe Station weit mit Post-
pferden fahren, ehe ich in das westend of the town
gelangte, wo ich in meiner frühern Wohnung im
Clarendon Hotel abtrat. Mein alter Wirth, ein
Schweizer, hatte zwar unterdeß England mit einem
andern, bis jetzt noch unbekannten Lande vertauscht,
der Sohn aber seine Stelle eingenommen, und die-
ser empfing mich mit aller der ehrerbietigen Sorg-
falt, welche die englischen Gastwirthe, und überhaupt
hier alle diejenigen, welche vom Gelde Anderer le-
ben, auszeichnet. Auch erwies er mir sogleich einen
wahren Dienst, denn, kaum eine Stunde ausgeruht,
ward ich gewahr, daß ich im Trouble der Nacht ei-
nen Beutel mit 80 Sovereigns im Commodenfach
meiner Schlafstube vergessen hatte. Monsieur Ja-
quier, der das englische Terrain zu gut kannte, zuckte
die Achseln, sandte jedoch ohne Verzug einen Ver-
trauten zu Wasser ab, um wo möglich das Verlorne
wiederzubringen. Die Unordnung, welche in jenem
elenden Gasthofe der Vorstädte herrschte, kam mir
zu statten. Unser Bote fand die Stube noch unauf-
geräumt, und zur, vielleicht unangenehmen, Ueber-
raschung der Hausleute den Beutel unberührt an der
bezeichneten Stelle.

London ist jetzt so todt an Eleganz und fashiona-
blen Leuten, daß man kaum eine Equipage vorüber-
fahren sieht, und von aller beau monde nur einige
Gesandten gegenwärtig sind. Dabei ist die ungeheure
Stadt voller Schmutz und Nebel, und die macadami-
sirten Straßen einer ausgefahrenen Landstraße ähn-

mußte aber noch eine halbe Station weit mit Poſt-
pferden fahren, ehe ich in das westend of the town
gelangte, wo ich in meiner frühern Wohnung im
Clarendon Hotel abtrat. Mein alter Wirth, ein
Schweizer, hatte zwar unterdeß England mit einem
andern, bis jetzt noch unbekannten Lande vertauſcht,
der Sohn aber ſeine Stelle eingenommen, und die-
ſer empfing mich mit aller der ehrerbietigen Sorg-
falt, welche die engliſchen Gaſtwirthe, und überhaupt
hier alle diejenigen, welche vom Gelde Anderer le-
ben, auszeichnet. Auch erwies er mir ſogleich einen
wahren Dienſt, denn, kaum eine Stunde ausgeruht,
ward ich gewahr, daß ich im Trouble der Nacht ei-
nen Beutel mit 80 Sovereigns im Commodenfach
meiner Schlafſtube vergeſſen hatte. Monſieur Ja-
quier, der das engliſche Terrain zu gut kannte, zuckte
die Achſeln, ſandte jedoch ohne Verzug einen Ver-
trauten zu Waſſer ab, um wo möglich das Verlorne
wiederzubringen. Die Unordnung, welche in jenem
elenden Gaſthofe der Vorſtädte herrſchte, kam mir
zu ſtatten. Unſer Bote fand die Stube noch unauf-
geräumt, und zur, vielleicht unangenehmen, Ueber-
raſchung der Hausleute den Beutel unberührt an der
bezeichneten Stelle.

London iſt jetzt ſo todt an Eleganz und faſhiona-
blen Leuten, daß man kaum eine Equipage vorüber-
fahren ſieht, und von aller beau monde nur einige
Geſandten gegenwärtig ſind. Dabei iſt die ungeheure
Stadt voller Schmutz und Nebel, und die macadami-
ſirten Straßen einer ausgefahrenen Landſtraße ähn-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0082" n="42"/>
mußte aber noch eine halbe Station weit mit Po&#x017F;t-<lb/>
pferden fahren, ehe ich in das <hi rendition="#aq">westend of the town</hi><lb/>
gelangte, wo ich in meiner frühern Wohnung im<lb/><hi rendition="#aq">Clarendon Hotel</hi> abtrat. Mein alter Wirth, ein<lb/>
Schweizer, hatte zwar unterdeß England mit einem<lb/>
andern, bis jetzt noch unbekannten Lande vertau&#x017F;cht,<lb/>
der Sohn aber &#x017F;eine Stelle eingenommen, und die-<lb/>
&#x017F;er empfing mich mit aller der ehrerbietigen Sorg-<lb/>
falt, welche die engli&#x017F;chen Ga&#x017F;twirthe, und überhaupt<lb/>
hier alle diejenigen, welche vom Gelde Anderer le-<lb/>
ben, auszeichnet. Auch erwies er mir &#x017F;ogleich einen<lb/>
wahren Dien&#x017F;t, denn, kaum eine Stunde ausgeruht,<lb/>
ward ich gewahr, daß ich im Trouble der Nacht ei-<lb/>
nen Beutel mit 80 <hi rendition="#aq">Sovereigns</hi> im Commodenfach<lb/>
meiner Schlaf&#x017F;tube verge&#x017F;&#x017F;en hatte. Mon&#x017F;ieur Ja-<lb/>
quier, der das engli&#x017F;che Terrain zu gut kannte, zuckte<lb/>
die Ach&#x017F;eln, &#x017F;andte jedoch ohne Verzug einen Ver-<lb/>
trauten zu Wa&#x017F;&#x017F;er ab, um wo möglich das Verlorne<lb/>
wiederzubringen. Die Unordnung, welche in jenem<lb/>
elenden Ga&#x017F;thofe der Vor&#x017F;tädte herr&#x017F;chte, kam mir<lb/>
zu &#x017F;tatten. Un&#x017F;er Bote fand die Stube noch unauf-<lb/>
geräumt, und zur, vielleicht unangenehmen, Ueber-<lb/>
ra&#x017F;chung der Hausleute den Beutel unberührt an der<lb/>
bezeichneten Stelle.</p><lb/>
          <p>London i&#x017F;t jetzt &#x017F;o todt an Eleganz und fa&#x017F;hiona-<lb/>
blen Leuten, daß man kaum eine Equipage vorüber-<lb/>
fahren &#x017F;ieht, und von aller <hi rendition="#aq">beau monde</hi> nur einige<lb/>
Ge&#x017F;andten gegenwärtig &#x017F;ind. Dabei i&#x017F;t die ungeheure<lb/>
Stadt voller Schmutz und Nebel, und die macadami-<lb/>
&#x017F;irten Straßen einer ausgefahrenen Land&#x017F;traße ähn-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0082] mußte aber noch eine halbe Station weit mit Poſt- pferden fahren, ehe ich in das westend of the town gelangte, wo ich in meiner frühern Wohnung im Clarendon Hotel abtrat. Mein alter Wirth, ein Schweizer, hatte zwar unterdeß England mit einem andern, bis jetzt noch unbekannten Lande vertauſcht, der Sohn aber ſeine Stelle eingenommen, und die- ſer empfing mich mit aller der ehrerbietigen Sorg- falt, welche die engliſchen Gaſtwirthe, und überhaupt hier alle diejenigen, welche vom Gelde Anderer le- ben, auszeichnet. Auch erwies er mir ſogleich einen wahren Dienſt, denn, kaum eine Stunde ausgeruht, ward ich gewahr, daß ich im Trouble der Nacht ei- nen Beutel mit 80 Sovereigns im Commodenfach meiner Schlafſtube vergeſſen hatte. Monſieur Ja- quier, der das engliſche Terrain zu gut kannte, zuckte die Achſeln, ſandte jedoch ohne Verzug einen Ver- trauten zu Waſſer ab, um wo möglich das Verlorne wiederzubringen. Die Unordnung, welche in jenem elenden Gaſthofe der Vorſtädte herrſchte, kam mir zu ſtatten. Unſer Bote fand die Stube noch unauf- geräumt, und zur, vielleicht unangenehmen, Ueber- raſchung der Hausleute den Beutel unberührt an der bezeichneten Stelle. London iſt jetzt ſo todt an Eleganz und faſhiona- blen Leuten, daß man kaum eine Equipage vorüber- fahren ſieht, und von aller beau monde nur einige Geſandten gegenwärtig ſind. Dabei iſt die ungeheure Stadt voller Schmutz und Nebel, und die macadami- ſirten Straßen einer ausgefahrenen Landſtraße ähn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/82
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/82>, abgerufen am 18.04.2024.