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Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786.

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4) Carl IV. -- Sigism. 1356-1414.
men hatte, die Reichsstände nicht nur in ihrer
Theilnehmung an wichtigen Reichsgeschäfften, son-
dern auch in ihrer Eigenschaft, als Landesherren
oder wahre Regenten in ihren Ländern, ungefähr
in eben dem Verhältnisse gestiegen waren, als die
kaiserliche Gewalt in Abnahme gerieth; hätte man
vielleicht erwarten können, daß nunmehr ein jeder
Kaiser den Ueberrest der kaiserlichen Hoheitsrechte
und Einkünfte desto sorgsamer in Acht nehmen
würde, um sie nicht noch in tiefern Verfall gera-
then zu laßen. Allein gerade im Gegentheile
schien es jetzt noch weniger Ueberwindung als vor-
her zu kosten, wenn ein Kaiser um Begnadigun-
gen angesprochen wurde, deren nachtheilige Folgen
er selbst eben nicht zu erleben besorgen durfte.
Ungewiß, ob die Kaiserwürde bey seinem Hause
bleiben würde, nahm er an den Folgen entfernte-
rer Zeiten weniger Antheil. So läßt sichs wenig-
stens einigermaßen begreiflich machen, wie von die-
sen Zeiten her eine so übermäßige Anzahl kaiserlicher
Begnadigungen von allen Gattungen aufgekommen.
Man konnte jetzt merklich wahrnehmen, daß ein jeder
Kaiser, der seiner Würde nur für seine Person, nicht
für seine Nachkommen gesichert war, den Genuß
derselben soviel nur möglich zu seinem und der
Seinigen Vortheile zu benutzen suchte. Gab es
also Gelegenheit ganze Cammergüter oder einträg-
liche Hoheitsrechte durch Verkauf oder Verpfän-
dung zu versilbern, so mußte es einem Kaiser, der
nicht wußte, ob er seinen Sohn zum Nachfolger
bekam, angenehmer seyn, auf solche Art den gan-
zen Werth davon auf einmal in die Hände zu be-
kommen, als mit der sich nur noch auf ungewisse
Zeit zu hebenden Nutzung zu begnügen. So wur-

den
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4) Carl IV. — Sigism. 1356-1414.
men hatte, die Reichsſtaͤnde nicht nur in ihrer
Theilnehmung an wichtigen Reichsgeſchaͤfften, ſon-
dern auch in ihrer Eigenſchaft, als Landesherren
oder wahre Regenten in ihren Laͤndern, ungefaͤhr
in eben dem Verhaͤltniſſe geſtiegen waren, als die
kaiſerliche Gewalt in Abnahme gerieth; haͤtte man
vielleicht erwarten koͤnnen, daß nunmehr ein jeder
Kaiſer den Ueberreſt der kaiſerlichen Hoheitsrechte
und Einkuͤnfte deſto ſorgſamer in Acht nehmen
wuͤrde, um ſie nicht noch in tiefern Verfall gera-
then zu laßen. Allein gerade im Gegentheile
ſchien es jetzt noch weniger Ueberwindung als vor-
her zu koſten, wenn ein Kaiſer um Begnadigun-
gen angeſprochen wurde, deren nachtheilige Folgen
er ſelbſt eben nicht zu erleben beſorgen durfte.
Ungewiß, ob die Kaiſerwuͤrde bey ſeinem Hauſe
bleiben wuͤrde, nahm er an den Folgen entfernte-
rer Zeiten weniger Antheil. So laͤßt ſichs wenig-
ſtens einigermaßen begreiflich machen, wie von die-
ſen Zeiten her eine ſo uͤbermaͤßige Anzahl kaiſerlicher
Begnadigungen von allen Gattungen aufgekommen.
Man konnte jetzt merklich wahrnehmen, daß ein jeder
Kaiſer, der ſeiner Wuͤrde nur fuͤr ſeine Perſon, nicht
fuͤr ſeine Nachkommen geſichert war, den Genuß
derſelben ſoviel nur moͤglich zu ſeinem und der
Seinigen Vortheile zu benutzen ſuchte. Gab es
alſo Gelegenheit ganze Cammerguͤter oder eintraͤg-
liche Hoheitsrechte durch Verkauf oder Verpfaͤn-
dung zu verſilbern, ſo mußte es einem Kaiſer, der
nicht wußte, ob er ſeinen Sohn zum Nachfolger
bekam, angenehmer ſeyn, auf ſolche Art den gan-
zen Werth davon auf einmal in die Haͤnde zu be-
kommen, als mit der ſich nur noch auf ungewiſſe
Zeit zu hebenden Nutzung zu begnuͤgen. So wur-

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[263/0297] 4) Carl IV. — Sigism. 1356-1414. men hatte, die Reichsſtaͤnde nicht nur in ihrer Theilnehmung an wichtigen Reichsgeſchaͤfften, ſon- dern auch in ihrer Eigenſchaft, als Landesherren oder wahre Regenten in ihren Laͤndern, ungefaͤhr in eben dem Verhaͤltniſſe geſtiegen waren, als die kaiſerliche Gewalt in Abnahme gerieth; haͤtte man vielleicht erwarten koͤnnen, daß nunmehr ein jeder Kaiſer den Ueberreſt der kaiſerlichen Hoheitsrechte und Einkuͤnfte deſto ſorgſamer in Acht nehmen wuͤrde, um ſie nicht noch in tiefern Verfall gera- then zu laßen. Allein gerade im Gegentheile ſchien es jetzt noch weniger Ueberwindung als vor- her zu koſten, wenn ein Kaiſer um Begnadigun- gen angeſprochen wurde, deren nachtheilige Folgen er ſelbſt eben nicht zu erleben beſorgen durfte. Ungewiß, ob die Kaiſerwuͤrde bey ſeinem Hauſe bleiben wuͤrde, nahm er an den Folgen entfernte- rer Zeiten weniger Antheil. So laͤßt ſichs wenig- ſtens einigermaßen begreiflich machen, wie von die- ſen Zeiten her eine ſo uͤbermaͤßige Anzahl kaiſerlicher Begnadigungen von allen Gattungen aufgekommen. Man konnte jetzt merklich wahrnehmen, daß ein jeder Kaiſer, der ſeiner Wuͤrde nur fuͤr ſeine Perſon, nicht fuͤr ſeine Nachkommen geſichert war, den Genuß derſelben ſoviel nur moͤglich zu ſeinem und der Seinigen Vortheile zu benutzen ſuchte. Gab es alſo Gelegenheit ganze Cammerguͤter oder eintraͤg- liche Hoheitsrechte durch Verkauf oder Verpfaͤn- dung zu verſilbern, ſo mußte es einem Kaiſer, der nicht wußte, ob er ſeinen Sohn zum Nachfolger bekam, angenehmer ſeyn, auf ſolche Art den gan- zen Werth davon auf einmal in die Haͤnde zu be- kommen, als mit der ſich nur noch auf ungewiſſe Zeit zu hebenden Nutzung zu begnuͤgen. So wur- den R 4

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Zitationshilfe: Pütter, Johann Stephan: Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs. Bd. 1: Bis 1558. Göttingen, 1786, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/puetter_staatsverfassung01_1786/297>, abgerufen am 29.03.2024.